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Kopfüber den Schwindel kurieren

Wenn alles dreht im Kopf, kann es besonders für alte Menschen gefährlich werden: Es drohen Stürze. Manchmal hilft ihnen ein verblüffend einfaches Manöver. Nun sollen auch Hochbetagte in Pflegeheimen profitieren.

Mit dem mobilen Drehstuhl stellen Sie betagte Menschen buchstäblich auf den Kopf und drehen sie in alle Richtungen – fast wie auf einem Karussell. Was bewirkt das?
Prof. Dr. med. Dominik Straumann*:
Mit dem Gerät können wir die häufigste Ursache von Schwindelanfällen diagnostizieren und gleich beheben: den sogenannten gutartigen Lagerungsschwindel. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich um eine relativ harmlose Erkrankung. Sie ist aber immer noch wenig bekannt und wird vor allem bei älteren Patienten häufig übersehen.

Wie entsteht der Lagerungsschwindel?
Im Innenohr geraten winzige Kalkkristalle in die Bogengänge des Gleichgewichtsorgans. Normalerweise sind diese Partikel in einer gelartigen Masse auf vielen tausend Härchen eingebettet. Damit können die dazugehörigen Sinneszellen die Schwerkraft messen und diese Information über Nerven an das Gehirn weiterleiten. Schwimmen die Kristalle aber frei herum und geraten in einen Bogengang, lösen sie bei Änderungen der Kopfposition Strömungen in der Bogengangflüssigkeit aus. Wenn die Betroffenen zum Beispiel nach oben schauen oder sich im Bett drehen, verspüren sie ein heftiges Schwindelgefühl, das bis zu einer Minute anhält. Es kann zu Übelkeit oder Stürzen kommen.

Wieso lösen sich die Steinchen von den Härchen im Innenohr?
Im Einzelfall lässt sich das oft nicht eruieren. Gehäuft tritt Lagerungsschwindel aber zum Beispiel nach Erschütterungen des Kopfes, nach Entzündungen des Gleichgewichtsnervs, bei Vitamin-D- oder Östrogenmangel und bei Osteoporose auf. Es können schon Kinder oder junge Erwachsene betroffen sein. Mit zunehmendem Alter steigt die Häufigkeit.

Wie können Sie feststellen, dass es sich um einen gutartigen Lagerungsschwindel handelt?
Ein sicheres Zeichen sind zuckende Augenbewegungen – in der Fachsprache Nystagmus –, die bei gewissen Änderungen der Körperhaltung auftreten. Während der Untersuchung tragen die Patienten eine Brille mit Infrarotkamera, welche die Zuckungen auf einem Bildschirm sichtbar macht. Spezialisten erkennen, welcher Bogengang betroffen ist und können die Kristalle durch gezieltes Drehen des Körpers in der entsprechenden Ebene gleich herausmanövrieren. Der Drehschwindel wird dadurch sofort behoben und die Kristalle lösen sich nach wenigen Stunden spontan auf.

Im Internet finden sich Anleitungen, wie man das Problem selbst zu Hause lösen kann. Empfehlen Sie das?
Ja. Wer unter Schwindel leidet, kann es durchaus zuerst mit dem sogenannten Epley-Manöver versuchen. Dabei führt man im Liegen Übungen durch, bei denen der Kopf von der Bettkante hängt. Dies ist aber für viele Betagte oder Menschen mit Nackenbeschwerden eine Tortur oder schlicht nicht möglich.

Dann kommt der Drehstuhl zum Einsatz?
Genau. Diverse Kliniken verfügen bereits über ein entsprechendes Gerät. Um die Methode auch zu Menschen in Alters- und Pflegeheimen zu bringen, haben Ingenieure nach unseren Vorstellungen eine leichte Variante entwickelt, die in unserem Schwindelbus gut transportiert werden kann. So profitieren auch betagte Menschen von dieser verblüffend einfachen Methode, welche ihre Lebensqualität nachhaltig verbessern kann.

Welche anderen Ursachen für Schwindel gibt es?
Schwindel ist ein Begleitsymptom von unzähligen harmlosen bis zu schwerwiegenden Erkrankungen. Die häufigsten Ursachen sind Migräne, zu niedriger Blutdruck, Medikamentennebenwirkungen, Entzündung des Gleichgewichtsnervs, Innenohrstörungen (zum Beispiel die Menière-Krankheit), Herzrhythmusstörungen, degenerative Krankheiten des Gehirns wie zum Beispiel Parkinson, Schlaganfälle wie Infarkte oder Blutungen im Gehirn. Häufig sind auch psychische Probleme mitbeteiligt.

Ein niedriger Blutdruck ist doch eigentlich erwünscht?
Ja, denn ein tiefer Blutdruck senkt langfristig das Risiko für Arteriosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Man muss einfach damit umgehen lernen: Nicht zu schnell aufstehen, damit man nicht stürzt. Gelegentlich verbergen sich hinter dem Symptom aber auch Herzkrankheiten, zum Beispiel Rhythmusstörungen, vor allem bei älteren Menschen.

Wie äussert sich der Migräneschwindel?
Bei diesen Patienten – häufiger Frauen als Männer – hören die typischen Anfälle mit Kopfschmerzen meist im Alter von fünfzig bis sechzig Jahren auf. Anschliessend oder einige Jahre später kommt es zu Schwindelanfällen, die Minuten, Stunden oder auch Tage andauern können. Der Migräneschwindel kann wie ein Migränekopfschmerz prophylaktisch behandelt werden, zum Beispiel mit Magnesium und Vitamin B2.

Ist Schwindel stark verbreitet?
Ja. Nach dem Schmerz ist der Schwindel das häufigste Symptom, das die Menschen zum Arzt führt. Mit zunehmendem Alter wird Schwindel häufiger. Er ist gefährlich, weil es zu Stürzen mit allen Konsequenzen führen kann, zum Beispiel Knochenbrüche oder ein Schädel-Hirn-Trauma. Wiederholte Schwindelattacken und Dauerschwindel sollten zuerst vom Hausarzt abgeklärt werden, der falls nötig eine Überweisung zu einem Spezialisten veranlassen wird. Ein bisher unbekannter akuter und anhaltender Schwindel dagegen ist ein Notfall.

* Prof. Dr. med. Dominik Straumann ist leitender Arzt an der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich und leitet das Interdisziplinäre Zentrum für Schwindel und neurologische Sehstörungen. Er initiierte das Projekt Schwindelbus der University Hospital Zurich Foundation.