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Vitaler Kickstart in den Frühsommer

Der Mai ist da! Doch während die Bäume schon kräftig ausschlagen, hängen Sie noch ein wenig in den Seilen? Keine Bange, denn da lässt sich etwas nachhelfen.

Von blauen Beeren bis zu gelben Peperoni: Früchte und Gemüse in unterschiedlichen Farben machen nicht nur Lust auf den Frühsommer. In ihnen stecken gesunde Ballast- und Vitalstoffe. Warum es damit alleine nicht getan ist, weiss der Mediziner und Spezialist für orthomolekulare Medizin, Dr. med. Heinz Lüscher.

«An apple a day keeps the doctor away.» Würde ein Apfel täglich den Doktor fernhalten, dann hätten Ärzte wie Sie doch gar nichts zu tun.
Dr. med. Heinz Lüscher*:
Wenn das tatsächlich so wäre, ja (lacht). Natürlich enthält der Apfel eine Vielzahl von Vitalstoffen, die für den Körper wichtig sind. Die Wirkung einiger dieser Stoffe ist noch nicht oder nur unzureichend erforscht. Man tut sich damit etwas Gutes, aber mit dem Apfelessen alleine ist es nicht getan. Und das gilt auch für andere Nahrungsmittel.

Reicht eine gesunde, ausgewogene Ernährung nicht aus?
Die ist natürlich die Basis. Allerdings hat sich in den letzten hundert Jahren viel getan: Früher war unsere Nahrung noch vollwertig, die Böden wurden nicht so intensiv genutzt wie heute. Heute sind die Äcker ausgelaugt, geerntetes Gemüse und Früchte enthalten nicht mehr ausreichend Vitalstoffe. Besonders der Gehalt von Antioxidantien, also von sekundären Pflanzenstoffen und Spurenelementen wie Selen, ist in den vergangenen Jahren nachweislich zurückgegangen. Hinzu kommen Pestizide, die in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden. Man kann also, auch wenn man viel Gemüse und viele Früchte zu sich nimmt, einen Nährstoffmangel haben.

Wann ist es sinnvoll, wann sogar notwendig, Nahrungsergänzungspräparate einzunehmen?
Da gibt es zahlreiche Beispiele. Nehmen wir das Vitamin B12. Es ist unter anderem wichtig für die Produktion roter Blutkörperchen. Zudem kann ein Mangel an Vitamin B12 zu schweren, teils irreparablen Schädigungen des zentralen Nervensystems führen. Weil es ausschliesslich in tierischen Nahrungsmitteln vorkommt, müssen es Veganer, manchmal auch Vegetarier, ergänzen. Grundsätzlich empfehle ich Patienten, die keine oder wenig tierische Nahrungsmittel zu sich nehmen, regelmässig die Vitamin-B12- und die Eisenwerte im Blut kontrollieren zu lassen.

Wie machen sich fehlende Nährstoffe bemerkbar?
Jeder Mikronährstoff ist wichtig für den Stoffwechsel. Man kann davon ausgehen, dass es Tausende von Mikronährstoffen gibt. Mangelt es dem Organismus an einigen dieser Komponenten, sind gleich mehrere Stoffwechselprozesse im Körper gestört. Ein Zustand, der sich zunächst als Energiemangel und Abgeschlagenheit bemerkbar macht. Man spricht dann auch vom chronischen Fatigue-Syndrom. Im zweiten Schritt entstehen Krankheiten. Leider sehen die Standardlaboruntersuchungen nur die Kontrolle weniger Mikronährstoffe im Blut vor. Andere Mängel bleiben meist unerkannt. Ohne Diagnose wird der Patient nicht selten über kurz oder lang als psychisch gestört abgestempelt.

Und solche Patienten kommen dann zu Ihnen?
Ja, auch. In der Regel sind es aber Menschen, bei denen die Diagnose feststeht: Meist sind sie chronisch krank und haben Probleme mit dem Darm, neurologische Krankheiten wie multiple Sklerose, Parkinson oder Krebs.

Wie gehen Sie vor, wenn ein Patient zu Ihnen kommt?
Als Erstes erfolgt eine 20- bis 30-minütige Anamnese, also eine umfassende Patientenbefragung. Hinzu kommen die Ergebnisse aus dem Labor (Blutbild). Daraus erfolgt der Therapievorschlag – je nach Diagnose werden auch schulmedizinische Medikamente miteinbezogen.

Woran mangelt es denn besonders oft?
An Vitamin D3. Es wird über die UV-Bestrahlung der Haut gebildet. Für eine ausreichende Vitamin-D3-Versorgung reicht die Sonne in unseren Breiten allerdings nicht aus. Es ist also wichtig, dass wir D3 in ausreichender Menge zuführen. Häufig bleibt auch ein Magnesiummangel über längere Zeit unentdeckt, denn Magnesium wird in Standardlaboruntersuchungen so gut wie nie gemessen.

Können Sie sich an Patienten erinnern, die besonders von einer Therapie mit bestimmten Mikronährstoffen profitiert haben?
Das geschieht sogar sehr oft, gerade bei Patienten mit Reizdarm. Viele haben bereits einen langen Leidensweg hinter sich und verspüren schon nach wenigen Wochen Therapie eine Verbesserung. Bei konsequenter Einnahme bestimmter Mikronährstoffe kann das Reizdarmsyndrom innerhalb von sechs bis zwölf Monaten komplett ausheilen. Liegt ausserdem eine Gluten- oder Laktoseintoleranz vor, muss selbstverständlich begleitend eine entsprechende Diät eingehalten werden.

Wo stösst die Vitalstofftherapie an ihre Grenzen?
Das geschieht genau wie bei anderen Therapien auch. Die orthomolekulare Medizin ist oft zielführend, doch Wunder vollbringt sie nicht. Besonders, wenn das Leiden sehr vielschichtig ist, wie zum Beispiel ein Burn-out: Hier greifen psychische und körperliche Faktoren ineinander.

Können Nahrungsergänzungsmittel bei einer Überdosierung gefährlich werden?
Hier eine generelle Aussage zu machen, ist schwierig. Aufpassen sollte man bei fettlöslichen Vitaminen wie A und E. Sie können unter Umständen, speziell bei einer Überdosierung oder/und wenn sie über längere Zeit eingenommen werden, schädlich sein. Auf der anderen Seite muss man sich die Studien, die teilweise einen riesigen Hype in den Medien auslösen und für Verängstigung bei den Konsumenten sorgen, genau anschauen. Viele dieser Untersuchungen genügen wissenschaftlichen Standards nicht. Mikronährstoffe deshalb pauschal als gefährlich anzusehen, ist undifferenziert und irreführend.

Wenn es der Frühling noch nicht geschafft haben sollte: Welche Mikronährstoffe bringen uns jetzt in Hochform?
Zum Beispiel Coenzym Q10, ein wichtiges, körpereigenes Coenzym, das einen entscheidenden Einfluss auf den Energiehaushalt unserer Zellen hat. Es wirkt stark antioxidativ, schützt also vor freien Radikalen. Kombiniert mit dem biologischen Wasserstoff NADH (Nicotinamid Adenin Dinucleotid Hydrid, auch Coenzym 1), kann man dem Energiehaushalt ein wenig auf die Sprünge helfen. Wer gesund ist, bei dem genügen zweimal 10 mg NADH und 30 mg Coenzym Q10 täglich.

Empfehlen Sie auch manchmal Basenpräparate?
Wenn der Urin übersäuert ist und der pH-Wert unter 6 liegt, rate ich zu einer Basenkur.

Verraten Sie uns abschliessend, was Sie selbst tun, um fit und gesund zu bleiben?
Ich versuche, mir ausreichend Erholungszeit und Bewegung zu gönnen und achte auf meine psychische Gesundheit. Und ich helfe ein bisschen mit Mikronährstoffen nach.

*Dr. med. Heinz Lüscher ist Schulmediziner und Experte für orthomolekulare Medizin. Er führt eine Praxis in Herisau (AR). www.vitalstoffmedizin.ch

Orthomolekulare Medizin

Das Wort «ortho» stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet «richtig». Konkret geht es dabei um die «richtige» Konzentration von Mikronährstoffen (Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen) in unserem Körper. Liegt ein Missverhältnis oder Mangel dieser Substanzen vor, kann dies zu Krankheiten führen. Wird hingegen mit gezielten Mikronährstoffgaben gegengesteuert, können künftige Leiden verhindert oder bereits bestehende Erkrankungen gelindert werden. Wegbereiter dieser Therapieform war mitunter der amerikanische Biochemiker und zweifache Nobelpreisträger Professor Dr. Linus Pauling.