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Jugendliche und Leistungssport

Wenn Kinder und Jugendliche eine sportliche Karriere anstreben, verlangt dies dem Körper einiges ab. Prof. Dr. med. Johannes Scherr, Chefarzt und Leiter des Universitären Zentrums für Prävention und Sportmedizin an der Universitätsklinik Balgrist, erklärt, worauf sie beim Training achten müssen.

Susanna Steimer Miller

Warum tut Sport allen Kindern und Jugendlichen gut?
Prof. Dr. med. Johannes Scherr*:
Heute weiss man, dass Freude an der Bewegung schon in der frühen Kindheit geprägt wird. Wer als Kind aktiv ist, wird sich auch im Erwachsenenalter gerne regelmässig bewegen, weil Sport positiv behaftet ist. Kinder, die sich hingegen von klein auf nur wenig und ungern bewegen, werden als Erwachsene eher zu Couch-Potatoes. Übergewichtige Kinder machen im Schulsport oft negative Erfahrungen: Sie werden gehänselt, weil sie sich ungeschickt anstellen oder keine Ausdauer haben. Das führt dazu, dass sie Sport in der Kindheit und im Erwachsenenalter meiden. Dadurch sind sie häufiger übergewichtig und haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme, Stoffwechselerkrankungen und bösartige Tumoren.

Wie viel müssen angehende Leistungssportlerinnen und -sportler trainieren?
Sicher lässt sich sagen, dass der Trainingsaufwand einerseits mit dem Talent des Kindes korreliert: Je mehr Talent, desto weniger muss das Kind trainieren und umgekehrt. Andererseits hängt das Training auch von der Sportart ab. Im Kunstturnen wird der Leistungszenith sehr früh erreicht und bedingt ein Training von bis zu zwanzig Stunden pro Woche in der Kindheit. Ausdauerathleten erreichen den Leistungszenith später, zwischen zwanzig und Anfang dreissig.

Worauf muss man bei jugendlichen Leistungssportlerinnen und -sportlern achten?
Jugendliche sind noch im Wachstum. Generell sollten Verletzungen vermieden werden, besonders im Bereich der Wachstumsfugen an den Knochen. Auch rate ich von einem maximalen Krafttraining ab, bei dem wenig Wiederholungen mit einem hohen Gewicht im Vordergrund stehen. Für den maximalen Muskelaufbau ist bei Kindern und Jugendlichen sowohl die muskuloskelettale als auch die hormonelle Situation nicht gegeben. Zudem kann diese Art von Krafttraining dazu führen, dass die Knochen und Muskeln nicht proportional zueinander wachsen, wodurch sich die Hebelverhältnisse verändern. Sinnvoll ist ein Stabilisationstraining, das Kraft und Ausdauer kombiniert. Diese Art von Krafttraining fördert die Motorik. Zudem konnte in Studien gezeigt werden, dass sich dadurch die Verletzungsgefahr um etwa zwei Drittel reduziert.
Angehende Leistungssporttreibende sollten ihre Athletik insgesamt stärken. Das klappt am besten, wenn Jugendliche verschiedene Sportarten treiben, zum Beispiel Fussball und Krafttraining kombinieren. So reduziert sich das Risiko für Überlastungsverletzungen.
Während des Wachstumsspurts in der Pubertät muss man beim Training die veränderten Verhältnisse der Knochen, Muskeln und des Bindegewebes berücksichtigen: Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass sich bei Mädchen der Körperschwerpunkt durch das Wachstum der Brust verändert.

Welche Sportverletzungen treten bei Jugendlichen besonders oft auf?
Häufig sind traumatische Verletzungen wie Knochenbrüche oder Bänderzerrungen oder -risse. Das Risiko für solche Verletzungen wird auch von den Hormonen beeinflusst. Diese können sich schützend auf den Bandapparat auswirken, aber gewisse Verletzungen fördern. So steigt zum Beispiel bei jugendlichen Leistungssportlerinnen das Risiko für Verletzungen des vorderen Kreuzbandes.
Weitverbreitet sind bei jungen Athletinnen und Athleten auch Überlastungsschäden. Dazu gehören Überlastungsbrüche im Bereich der Schulter, des Ellbogens oder der Wirbelsäule. Diese Verletzungen entstehen, wenn die Stabilität der Knochen nicht im Gleichgewicht mit den direkt einwirkenden Kräften oder dem Zug der Muskeln ist: Die Knochen brechen also, wenn die Muskeln zu häufig zu stark an ihnen ziehen. Durch zu intensives Training kann es auch zu einer Entzündung der Wachstumsfugen an den Fersen oder zu einer schmerzhaften Reizung am vorderen oberen Schienbein kommen, die entsteht, weil Knochenteilchen sich ablösen. Kleinere Stressbrüche verheilen in der Regel ohne Operation, bedürfen aber einer Trainingspause.

Welche Probleme können sonst noch bei jugendlichen Leistungssportlerinnen und -sportlern auftreten?
Vor allem bei Mädchen, manchmal aber auch bei Jungs, kann das intensive Training zu einem relativen Energiemangel führen. Betroffene essen zwar normal, verbrauchen aber mehr Energie, als sie zu sich nehmen. Dies kann den Hormonhaushalt beeinträchtigen und dazu führen, dass die Knochen ungenügend mineralisiert werden. Bei Mädchen kann zudem die Menstruation ausbleiben. Probleme entstehen häufig, wenn Kinder ganz früh mit Leistungssport beginnen oder von null auf hundert trainieren.

Wie gut verheilen Sportverletzungen bei Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen?
In der Regel verheilen Knochen-, Bänder- und Muskelverletzung bei ihnen besser als bei älteren Menschen, da die Zellen sich in diesem Alter schneller erneuern. Die maximale Knochendichte wird ja mit Ende zwanzig erreicht. Danach geht es bergab. Bei Frauen nimmt die Knochendichte nach der Menopause nochmals deutlich ab, wodurch Brüche leichter auftreten und schlechter heilen.

Wie behandelt man Sportverletzungen?
Bei Knochenverletzungen ist es von zentraler Bedeutung, den gebrochenen Knochen in die richtige Position zu bringen und mit einer Gipsschiene ruhig zu stellen. Manchmal ist dafür ein operativer Eingriff nötig, bei dem die gebrochene Stelle mithilfe einer Platte, Schraube oder einem Nagel stabilisiert wird.
Bei einer Überlastungsverletzung ist Entlastung notwendig. Um zu verhindern, dass es an der gleichen Stelle wieder zu einem Stressbruch kommt, empfehle ich ein gezieltes Training, um die zugrunde liegenden Dysbalancen präventiv zu beheben.

* Prof. Dr. med. Johannes Scherr, Chefarzt und Leiter, Universitäres Zentrum für Prävention und Sportmedizin, Universitätsklinik Balgrist.