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Arzneimittelherstellung – (k)eine Hexerei?

Die moderne Forschung hat gegen viele Beschwerden hochwirksame Medikamente entwickelt. Diese verbessern unsere Lebensqualität fortlaufend. Ein neues Medikament zuzulassen, ist jedoch immer mit grossen Anstrengungen verbunden.

Werfen wir zunächst einen spannenden Blick zurück ins ausgehende Mittelalter, in eine Zeit, in der man sich noch kaum Gedanken bezüglich Arzneisicherheit machte: Um schädliche Nebenwirkungen oder gefährliche Wechselwirkungen kümmerte man sich wenig und die Herstellung von Medikamenten, die wir heute hochwissenschaftlich angehen, beruhte damals hauptsächlich auf Intuition und Erfahrungswerten. Trotzdem faszinieren uns auch heute noch alte, von Aberglauben geprägte Bräuche und Rituale. Dazu gehört ohne Zweifel die Walpurgisnacht, die in einigen Gegenden in der Nacht auf den 1. Mai mit verkleideten Hexen, Maifeuer und Tanz nachempfunden wird. Der Ursprung dieses Festes geht auf die alte Mär zurück, dass Hexen in dieser Nacht auf ihrem Besen ausfliegen und ihre magischen Kräfte beim wilden Tanz mit dem Teufel walten lassen.

Hexensalben als Rauschdroge

Doch was ist dran an den alten Überlieferungen? Woher kam die feste Überzeugung der Menschen damals, dass sie Hexen gesichtet hatten, die sich auf dem Blocksberg zusammengerottet hatten und ausgelassen und schauerlich lachend um ein grosses Feuer herumflogen? Mit rechten Dingen konnte das jedenfalls nicht zugehen …
Heute gibt es eine wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen: Es handelte sich wohl um Halluzinationen, die durch Rauschdrogen ausgelöst wurden, und zwar durch die sogenannten Hexensalben. Diese waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit verbreitet und beinhalteten – über den Daumen gepeilt und je nach Gusto der Herstellerin – psychoaktive Substanzen wie Mutterkorn, Tollkirsche, Stechapfel, Schierling, Blauer Eisenhut und andere Giftpflanzen in variablen Mengen. Angereichert waren die auf abenteuerliche Weise handgemixten Salben manchmal mit tierischen Substanzen wie Fledermaus- oder Vogelblut. Sie wurden auf empfindliche Hautpartien wie zum Beispiel die Schläfen, die Innenflächen der Oberschenkel, die Brust oder den Fussrücken aufgetragen. So konnten die enthaltenen Wirkstoffe durch die Haut aufgenommen werden und ihre mysteriöse und berauschende Wirkung entfalten. Ob das immer gut ging, sei dahingestellt.

Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen

Anders als im Mittelalter werden heute Arzneimittel nach sehr strengen Kriterien und mit grösstmöglichen Sicherheitsvorkehrungen hergestellt. Gefahrlos können wir im Krankheitsfall oder bei Schmerzen zur Tablette greifen und schon bald geht es uns wieder deutlich besser. Die moderne Medizin hat für sehr viele Beschwerden hochwirksame Arzneimittel zu bieten. Dennoch gibt es Erkrankungen, die noch nicht nachhaltig therapiert werden können. Zu diesen Krankheiten zählen beispielsweise gewisse Krebs- und Lungenerkrankungen, Alzheimer, Diabetes oder Aids. Unzählige Menschen sind davon betroffen. Deshalb arbeiten weltweit viele Forschende an Universitäten und in der Industrie daran, die Ursachen und den Verlauf dieser Krankheiten zu verstehen. Dank den Erkenntnissen aus dieser Grundlagenforschung können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Medikamente entwickeln und nach geeigneten Therapien suchen.

Hohe Anforderungen

Doch das ist oft nicht einfach. Einen neuen Wirkstoff zu finden, ist kompliziert, braucht viel Geduld, eine Menge Geld und manchmal sogar etwas Glück. Zahllose chemische Stoffe werden hergestellt und im Labor getestet. Besonders vielversprechende Substanzen gelangen anschliessend in den Tierversuch. Oft erst nach Jahren schaffen einzelne Wirkstoffe den Sprung in die klinischen Studien, in der Regel zuerst am gesunden und dann am erkrankten Menschen.
Die Anforderungen an ein Medikament sind sehr hoch: Es muss in erster Linie die Erkrankung lindern oder heilen. Dabei sollte es aber keine zu starken Nebenwirkungen aufweisen und es darf auch in mehrfacher Überdosierung nicht giftig sein. Im Körper darf es nicht zu schnell abgebaut oder ausgeschieden werden, um seine Wirkung entfalten zu können. Zudem sollte die Substanz einigermassen gut industriell herstell- und handhabbar sein. Von anfänglich 10 000 Substanzen gelangt durchschnittlich nur eine einzige zur Anwendung am Menschen und bis die Gesundheitsbehörden grünes Licht zur Zulassung geben können, vergehen im Schnitt etwa zehn forschungsintensive Jahre!

Klinische Studien

Die Durchführung einer klinischen Studie ist bis ins Detail geregelt. Die Forschungsprojekte und deren Ziele werden genau definiert und schriftlich dokumentiert. Für jede Studie gibt es einen verantwortlichen Studienleiter, der nach einem streng kontrollierten Protokoll verfahren muss. Swissmedic, das Schweizerische Heilmittelinstitut, registriert und überwacht jede einzelne klinische Studie. Sie sammelt und beurteilt auch Meldungen über unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln.
Die kantonalen Ethikkommissionen begutachten und begleiten ihrerseits sämtliche Forschungsprojekte. Die geplanten Studien müssen ethisch vertretbar sein und mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Erfolg haben. Die strengen Tierversuchsbestimmungen sowie Probanden- und Patientenrechte müssen strikt eingehalten werden. Alle Teilnehmenden machen freiwillig bei der Studie mit und haben unter anderem das Recht auf umfassende Informationen. Sie dürfen auch zu jedem Zeitpunkt aus dem Projekt aussteigen. Festgelegt werden auch Obergrenzen für Probandenentschädigungen und Teilnahmesperrfristen zwischen einzelnen Studien. Damit will man erreichen, dass niemand nur des Geldes wegen bei zu vielen Studien mitmacht und vielleicht doch seine Gesundheit gefährden könnte.

Genauer Fahrplan

Die für die Zulassung eines Medikaments nötigen Untersuchungen an Menschen werden in vier Phasen eingeteilt, wobei die Übergänge manchmal fliessend sind und gewisse Tests auch parallel fortgeführt werden können. Die nächste Teststufe erfolgt jedoch immer erst dann, wenn sich der Wirkstoff so weit bewährt hat. Zeigen sich unerwünschte Wirkungen, wird die gesamte klinische Studie abgebrochen.

Phase I: Der neue Wirkstoff wird erstmals an sehr wenigen, gesunden Probandinnen und Probanden getestet. Dabei werden vor allem die Eigenschaften des Arzneistoffs unter die Lupe genommen. Im Vordergrund stehen die Verträglichkeit, die Wirkungsweise und das Verhalten der Substanz im menschlichen Organismus.

Phase II: Der Schwerpunkt dieser Phase liegt auf der Prüfung der Wirksamkeit und auf der Ermittlung der Dosierung des Wirkstoffs (so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig). Diese Untersuchungen finden an wenigen Patientinnen und Patienten statt, die an der entsprechenden Erkrankung leiden.

Phase III: Es werden möglichst viele erkrankte Personen mit dem zukünftigen Arzneimittel behandelt. Diese Phase dient vor allem dem Nachweis von Wirksamkeit und Verträglichkeit und ermöglicht eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung. Relevante statistische Erhebungen erlauben z. B. die Optimierung von Dosis und Darreichungsform des Medikaments.

Phase IV: Das neue Medikament hat die drei ersten Phasen erfolgreich bestanden und ist nun zugelassen. Phase IV rückt die Anwendung an speziellen Personengruppen in den Fokus, z. B. an Kindern, älteren Menschen, Schwangeren oder an Personen, die an mehreren Erkrankungen leiden und verschiedene Medikamente einnehmen. Seltenere Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln können erfasst werden. Im Rahmen der Arzneimittelsicherheit werden weiterhin Nutzen und Risiko der Medikamente überwacht.