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Gewicht reduzieren: Diäten unter der Lupe

Jeder zweite Mann und jede dritte Frau ist übergewichtig oder adipös. Viele haben schon mehrere Diäten ausprobiert – ohne Erfolg. Die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach erklärt, wie Abnehmen gelingen kann.

Was macht dick? Sind es die Fette, Kohlenhydrate oder Eiweisse?
Prof. Dr. Christine Brombach:
Letztlich ist es das Ungleichgewicht zwischen der Energieaufnahme und des -verbrauchs. Heute sind wir überall von günstigen Lebensmitteln umgeben. Um nicht zuzunehmen, müssen wir ständig Verlockungen widerstehen. Das fällt vielen schwer. Der Mensch wurde evolutionär auf den Umgang mit Mangelsituationen programmiert. Unsere Urahnen litten oft Hunger und mussten immer dann essen, wenn sich die Gelegenheit ergab.

Ist Abnehmen einfach eine Frage des Willens?
Nein, es wäre unfair, Übergewichtige als willensschwach zu bezeichnen. Oft sind es viele Faktoren wie zum Beispiel die Lebensumstände, die es schwierig machen, abzunehmen. Zudem ist der Stoffwechsel individuell und manche Menschen brauchen tatsächlich weniger Energie als andere.

Diäten gibt es wie Sand am Meer. Mit welcher nimmt man am besten ab?
Mit keiner. Für Abnehmwillige wirkt es wie ein Traum, wenn sie in den Medien lesen, wie Prominente innert kürzester Zeit mit einer bestimmten Diät viel abgenommen haben. Die Realität zeigt aber, dass Menschen mit Diäten wie zum Beispiel dem Intervallfasten, den Low-Carb- oder Low-Fat-Diäten zwar kurzfristig abnehmen. Der Erfolg ist hingegen von kurzer Dauer und Betroffene nehmen in der Regel nach Ende der Diät wieder zu. Viele sind bald noch schwerer als vor der Diät. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff Jo-Jo-Effekt bekannt. Insbesondere Blitzdiäten, die eine hohe Gewichtsabnahme innert kürzester Zeit versprechen, sind riskant.

Inwiefern?
Crash-Diäten verändern unseren Stoffwechsel ungünstig. Hunger ist für unseren Körper ein Warnsignal. Er drosselt alle Funktionen, die nicht überlebensnotwendig sind und unser Grundumsatz sinkt. Darunter versteht man die Energie, die wir für lebenswichtige Vorgänge wie Atmung, Stoffwechsel, Herzfunktion, Regeneration und Erneuerung der Körperzellen benötigen. Nach Ende einer strengen Diät ist der Grundumsatz im Keller. Wer nun wieder so isst wie früher, verbraucht nicht mehr so viele Kalorien, weil sich der Körper an ein tieferes Energieniveau angepasst hat. Er bunkert das Zuviel an Energie in Form von Fett. Ausserdem gehen bei einer Blitz-Diät vor allem Muskelmasse und Wasser verloren. Das ist kontraproduktiv, weil gerade die Muskeln viel Energie verbrauchen.

Aber wie können Übergewichtige langfristig abnehmen?
Das klappt nicht mit einer Diät. Ein 40-jähriger Mensch hat in seinem Leben schon rund 40 000 Mahlzeiten eingenommen. Diese Gewohnheiten und Routinen lassen sich nicht nur rational verändern. Essen hat eine wichtige psychosoziale Komponente. Für den langfristigen Erfolg führt nichts an einer Umstellung der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten vorbei.
Wichtig ist, dass sich Betroffene mit ihrer Ernährung auseinandersetzen und sich Gedanken machen, wann, mit wem, wie viel, wo und warum sie essen. So kann man zum Beispiel während eines Tages alles fotografieren oder notieren, was man isst. Bei dieser Bestandsaufnahme geht es nicht ums Kalorienzählen, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung mit den eigenen Essgewohnheiten.
Übergewicht baut sich langsam über die Jahre auf. Das Abnehmen braucht ebenfalls viel Zeit. Ich empfehle deshalb, kleine Schritte im Alltag umzusetzen und die Gewichtsabnahme langsam anzustreben. Radikale Schritte und rigide Einschränkungen bei der Menüwahl sind nicht zielführend. Für jemanden, der täglich viel Schokolade isst, kann es sinnvoll sein, den Konsum auf eine Reihe zu reduzieren. Wer nicht gerne frühstückt, kann diese Mahlzeit weglassen und später am Vormittag etwas essen. Sind süsse oder salzige Snacks ein Problem, kauft man die am besten nicht oder nur übergangsweise kleinere Packungen davon ein.
Die Energiedichte einer Mahlzeit lässt sich durch den Konsum von mehr Gemüse und Salat reduzieren. Ein Salat vorweg trägt dazu bei, dass der Heisshunger gedämpft ist und man bei energiedichten Nahrungsmitteln weniger zugreift. Bei der Wahl der Salatsauce lohnt es sich zu überlegen, welche kalorienarmen Alternativen es gibt.

Was muss man beim langfristig erfolgreichen Abnehmen weiter berücksichtigen?
Essen ist etwas Wunderbares, Lustvolles und Emotionales. Sich diese Freude zu untersagen, ist falsch. Fürs Essen sollen wir uns Zeit nehmen und es mit Genuss verbinden, aber langfristig die Energiedichte reduzieren, ohne zu hungern. Denn um eine Hungersituation zu überstehen, müssen wir enorme Willenskraft aufbringen. Das kostet uns viel mentale Energie. Hunger fördert Heisshungerattacken.
Ratsam ist ebenfalls, genug kalorienfreie Getränke zu trinken und darauf zu achten, dass man mit allen Nährstoffen gut versorgt ist. Beim Abnehmen gibt es auch Rückschläge. Davon soll man sich nicht entmutigen lassen. Gelingt es mit der Umstellung der Ernährungsgewohnheiten allein nicht, kann eine Ernährungsberatung hilfreich sein. Verliert man erfolgreich Pfunde, belohnt man sich besser mit einem Konzert oder einem neuen Kleid statt mit einer Tüte Chips.

Muss man zum Abnehmen unbedingt Sport treiben oder geht es auch ohne?
Sport ist hilfreich, weil der Körper so Muskelmasse aufbaut. Dadurch steigt der Energieverbrauch. Am besten integriert man mehr Bewegung in den Alltag und nimmt zum Beispiel die Treppe statt den Lift oder die Rolltreppe, fährt mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit oder steigt eine Tramstation früher aus.

Um Gewicht zu reduzieren,
sollte man kleine Schritte im Alltag
umsetzen und langsam vorgehen.