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Gelenkprothesen – eine Gebrauchsanweisung

Prothesen können Abhilfe bei abgenutzten oder auch stark schmerzenden Gelenken schaffen. Wie geht man einen solchen Eingriff an? Was ist der zu erwartende Nutzen und wie verläuft der Genesungsprozess? Darüber haben wir mit Dr. Philippe Zangger, orthopädischer Chirurg in Lausanne (VD), gesprochen.

Im Fall eines stark verschlissenen Gelenks wird sein Ersatz durch eine Prothese, also ein künstliches Gelenk, empfohlen. Der Eingriff soll vor allem die Lebensqualität des Patienten verbessern, die durch eine Linderung der wiederkehrenden Schmerzen und eine verbesserte Mobilität erzielt wird. Die Entscheidung für einen chirurgischen Eingriff wird nach einer ausführlichen Abstimmung zwischen Patient und Chirurg getroffen. Nach Angaben des nationalen Prothesenregisters* «liegt das Durchschnittsalter der Träger einer Knie- bzw. Hüftprothese in der Schweiz bei 68 bis 69 Jahren. Im Jahr 2018 wurden 533 totale Hüftprothesen und 422 totale Knieprothesen auf 10 000 Einwohner erfasst.»

Was sind die Hauptindikationen für eine künstliche Hüftprothese?
Dr. Philippe Zangger**: Die Hauptindikation schlechthin ist Arthrose, also die genetisch bedingte Abnutzung des Knorpelmaterials im Gelenk. Der zweithäufigste Grund sind bestimmte Frakturen des Oberschenkelhalses. Zu den weniger häufigen Ursachen zählt eine rheumatoide Polyarthritis.

Wie wird die Entscheidung getroffen, wann der Moment für eine Operation gekommen ist?
In meiner Praxis analysiere ich drei Kriterien:
– wenn die Gehfähigkeit geringer als eine halbe Stunde oder 500 Meter beträgt;
– wenn der Patient nahezu täglich auf Schmerzmittel angewiesen ist;
– wenn der Patient kontinuierlich in seinem Schlaf eingeschränkt ist.
Ist mindestens eines dieser drei Kriterien erfüllt, dann ist der Zeitpunkt für eine Operation gekommen.

Wie sieht es mit dem Kniegelenk aus, was rechtfertigt hier eine Operation?
Die Gründe sind dieselben, also eine schmerzhafte Arthrose primären, d. h. genetischen Ursprungs oder infolge eines Unfalls. Manchmal ist auch eine rheumatoide Polyarthritis der Grund für den Einsatz einer Knieprothese.

Manche Spitzensportler leiden frühzeitig unter einer Hüftarthrose, wozu sich insbesondere der Tennisprofi Andy Murray in den Medien geäussert hat. Haben auch Sie diese Art von Fällen unter Ihren Patienten?
Eine Arthrose ist in den allermeisten Fällen zunächst einmal genetisch bedingt. Sportarten mit hoher Stossbelastung wie Tennis, die seit dem Jugendalter praktiziert werden, kann diese Tendenz verstärken, der Sport selbst kann für die Arthrose jedoch nicht verantwortlich gemacht werden. Ich kenne den Fall von Andy Murray nicht im Einzelnen, ich kann mir aber vorstellen, dass hier ebenfalls eine genetische Prädisposition vorlag, die durch das intensive Betreiben des Sports verstärkt wurde.

Der chirurgische Eingriff für diese beiden Prothesentypen ist mittlerweile deutlich weniger invasiv als früher. Was sind die Vorteile?
Der Einsatz einer totalen Hüftprothese ist auch weiterhin ein schwerer chirurgischer Eingriff. Die Operationstechnik ist aber tatsächlich etwas weniger invasiv als früher, da man mittlerweile in der Lage ist, die Muskulatur besser zu schonen als bei der vor dreissig Jahren angewendeten Operationstechnik. Der Vorteil ist hierbei ganz besonders eine anfangs schnellere Rehabilitation, aber nach drei Monaten sind die Ergebnisse mit denen invasiverer Techniken vergleichbar.

Wie sieht die postoperative Nachbehandlung von Patienten aus, die eine Hüft- oder Knieprothese erhalten haben?
Die Rehabilitation nach einer Hüftoperation unterscheidet sich stark von jener nach einer Knieoperation. Im Fall der Hüfte folgt zunächst eine Phase, in der der Patient sich spontan erholt, indem er alltägliche Tätigkeiten wieder aufnimmt. Natürlich muss man vermeiden, die Hüfte nach der Operation übermässig zu belasten. Ungefähr vier Wochen nach dem Eingriff können dann gewisse Aspekte intensiver angegangen werden wie zum Beispiel die Flexibilität oder die Muskelkraft. Nicht immer ist nach dem Einsetzen einer Hüftprothese auch eine Physiotherapie erforderlich. Nach dem Einsetzen einer Knieprothese ist jedoch immer eine intensive Rehabilitation erforderlich. Dabei geht es einerseits darum, eine gute Muskelkraft, Beugung und Streckung wiederzuerlangen – insbesondere die des Quadrizeps, des grossen Muskels auf der Vorderseite des Oberschenkels. Die Rehabilitation mithilfe von Physiotherapie im Anschluss an die Operation dauert ungefähr drei Monate.

Und welche Zeit beansprucht für gewöhnlich der Genesungsprozess?
Bei einer Hüftprothese kann der Patient nach drei bis sechs Monaten quasi wieder ein normales Leben führen. Bei Knieteilprothesen kann man mit einer relativ schnellen Genesung nach der Operation rechnen, auf jeden Fall aber schneller als bei totalen Knieprothesen, die in einem deutlich invasiveren Eingriff implantiert werden. Im Fall von totalen Prothesen kann die Verwendung von Stöcken drei bis sechs Wochen nach der Operation langsam immer weiter reduziert werden. Nach drei bis sechs Monaten kann der Patient auch hier quasi sein normales Leben wieder aufnehmen.
Nach dem Einsetzen einer Hüft- oder Knieprothese können auch bestimmte Sportarten wie Radfahren, Schwimmen, Walken oder Skifahren ausgeübt werden.

Wie kann eine optimale Genesung unterstützt werden?
Dazu braucht es natürlich zunächst einmal den eigenen Willen, ausserdem darf man keine Angst davor haben, sich zu bewegen, auch wenn dies zunächst noch mit Schmerzen verbunden ist. Ebenso ist es wichtig, sich von einem guten, auf Rehabilitationsmassnahmen spezialisierten Physiotherapeuten behandeln zu lassen. Anschliessend ist auf eine regelmässige Bewegung in Form von Sport ohne Stossbelastung zu achten, der dem Allgemeinzustand angemessen ist, wenn möglich zwei- bis dreimal pro Woche.

Verändert sich die Mobilität nach dem Eingriff?
Es versteht sich von selbst, dass nach dem Einsetzen einer Hüft- oder Knieprothese niemals eine dem Zustand vor dem Auftreten der Arthrose vergleichbare Mobilität wiedererlangt werden kann. Allerdings gewinnen die Patienten eine wesentlich bessere Mobilität im Vergleich zum Zustand vor dem Eingriff zurück. Auf die Genesung wirken sich mit Sicherheit sowohl die Motivation der Patienten als auch ihr Allgemeinzustand aus.

Wodurch unterscheidet sich der Genesungsprozess von Spitzensportlern? Kann ein Profisportler darauf hoffen, sein sportliches Leistungsniveau nach einem solchen Eingriff wiederzuerlangen?
Ein Spitzensportler hat im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine sehr hohe Erwartungshaltung. Die Rehabilitation findet in diesem Fall auf einem wesentlich intensiveren Niveau statt und umfasst täglich mehrere Stunden Training. Bei Spitzensportlern, deren Gelenke so stark angegriffen sind, dass eine Prothese erforderlich ist, ist es äusserst selten, dass dasselbe Leistungsniveau wie vor dem Eingriff wiedererlangt wird. Bei Verletzungen der Bänder jedoch, wie beispielsweise den Kreuzbändern, ist es durchaus möglich, dieselbe Leistungsstufe wie vor dem Eingriff zu erreichen. In den Medien sieht man regelmässig Skifahrerinnen und Skifahrer oder auch Fussballerinnen und Fussballer der Spitzenklasse, die nach einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes wieder an Wettkämpfen teilnehmen.

Nützliche Tipps für gesunde Gelenke

Die aufmerksame Befolgung einiger Tipps kann Sie dabei unterstützen, Ihre Gelenke zu schützen:

  • Bekämpfen Sie gegebenenfalls Übergewicht, das einen verstärkenden Faktor darstellt.
  • Vermeiden Sie eine übermässige Beanspruchung der Gelenke (Intensivsportarten, repetitive Bewegungen, schlechte Haltung …).
  • Tragen Sie bequeme Schuhe und nur selten Schuhe mit hohen Absätzen.
  • Verwenden Sie bei Knieschmerzen orthopädische Einlagen, um Stösse beim Gehen abzufedern.
  • Ziehen Sie gelenkschonende Sportarten vor: Schwimmen, Nordic Walking, Radfahren, Aquafitness.
  • Vermeiden Sie langes Stehen und schwere Lasten.
  • Greifen Sie bei Schmerzen zu einem Stock, um die Gelenke zu entlasten (Knie, Hüfte).

Das Leben mit einer Gelenkprothese

Für das Leben mit einer Gelenkprothese gibt es nur wenige Verbote:

  • zu plötzliche Bewegungen
  • Bewegungen mit zu grosser Amplitude bei Hüftprothesen

* Implantatregister SIRIS: Jahresbericht 2019
** Dr. Philippe Zangger ist ehemaliger Oberarzt am CHUV, Spezialist für Knie-, Hüft-, Schulter- und Fusschirurgie.