Deutsch

Freundschaften fürs Glück

Geld und Ruhm machen weniger glücklich als gute enge Beziehungen. Es lohnt sich daher, ein Leben lang in Freundschaften zu investieren. Denn davon profitiert auch die Gesundheit.

Der Homo sapiens ist kein Einzelgänger. Er braucht den Kontakt mit anderen Menschen, um sich mit ihnen austauschen zu können: Wir wollen anderen sagen, was uns bewegt … und erfahren, was unsere Gegenüber denken und planen, was sie freut und was ihnen Sorge bereitet. «Wir Menschen sind genetisch darauf programmiert, Herdentiere zu sein. Wir lebten die meiste Zeit als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen», so der US-Sozialwissenschaftler Ben Zablocki.

Der Erfolg von Social Media kommt daher nicht von ungefähr. Doch das virtuelle Sich-Vernetzen in sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook, YouTube, WhatsApp, LinkedIn oder Pinterest kann Begegnungen von Mensch zu Mensch nicht ersetzen, höchstens ergänzen. Zudem gilt es zu bedenken: Die Zeit, in der wir in solchen Netzwerken weilen, geht für wirkliche Treffen verloren und mindert so die Chance, dass enge Beziehungen entstehen können.

Instinktiv fühlen wir, wie wichtig Freundschaften für unser Wohlbefinden sind. Dass uns unser Gefühl nicht trügt, zeigen die Resultate einer vor über achtzig Jahren begonnenen wissenschaftlichen Studie, die noch immer andauert (siehe Box).

Gezielt Freundinnen und Freunde finden

Doch wie findet man Gleichgesinnte, mit denen man plaudern oder etwas unternehmen kann? Ist dies in einer Grossstadt, wo sich die Nachbarschaft kaum noch kennt, überhaupt noch möglich? Und: Woher nehme ich mir die Zeit, um neue Kontakte knüpfen zu können?

«Ein gutes Leben
besteht aus guten Beziehungen.»

Robert J. Waldinger

Manchmal kommen Freundschaften am Arbeitsplatz zustande, bleiben aber oft lose, weil die Teammitglieder zu weit voneinander entfernt wohnen. Oder Verbindungen brechen nach einem Stellenwechsel ab. Wer regelmässig und zur gleichen Tageszeit ein Café oder andere Lokale besucht, findet engeren Kontakt oft nur bei entsprechender Motivation, Veranlagung (Extrovertiertheit) und mit Glück. Auch im Quartierlädeli werden sich festere Bindungen selten ergeben. Dazu sind andere Orte besser geeignet:

  • Hobbykurse: Viele üben ein Hobby aus oder möchten ein neues entdecken, sei es Kochen, Taiji, Malen, Spanisch lernen, in einem Chor singen. Es gibt unzählige Veranstalter, die entsprechende Kurse anbieten. Gute Adressen sind auch Quartiertreffs, Gemeinschaftszentren, Freizeitanlagen, Ateliers … Manche Hobbygruppen bleiben über Jahre zusammen; so können sich echte Freundschaften entwickeln.
  • Vereine, Verbände, Clubs: Es gibt sie nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt, und es bräuchte wohl ein ganzes Buch, um sie alle aufzuzählen. Allein auf vereinsverzeichnis.ch sind über 57 000 Vereine, Clubs und Verbände aufgelistet. Zwei sich überschneidende Bereiche eignen sich besonders gut, um Gleichgesinnte zu finden:
  • Sport: Wichtig ist, nicht eine Bewegungsart zu wählen, weil sie gerade in ist, sondern eine, die einem Spass bereitet und zu den eigenen körperlichen Voraussetzungen passt. Im Hinblick auf die vielen Jahre, die man sie auszuüben erhofft, sollte die Sportart auch von Älteren und das ganze Jahr über ausgeübt werden können. Ideal sind Aktivitäten wie Aquafit, Nordic Walking, Pilates, Taiji, Tanzen, Wandern und Yoga.
  • Spiele: Das Spielen liegt in der Natur des Menschen; er ist auch ein Homo ludens. Viele Erwachsene pflegen das Spielen noch regelmässig und treffen sich in Spielgruppen, meist in Clubs oder Treffs, sei es zu einem Brett- oder Kartenspiel.
    (spontacts.com | spiele-club.com)
  • Gartenfestchen: Besonders in grossen Siedlungszentren, wo sich die Nachbarschaft kaum kennt, helfen Gartenfestchen, kleine Gemeinschaften entstehen zu lassen. Wenn alle Gäste etwas zum Gelingen des Events beitragen, ist der Aufwand für die jeweiligen Gastgebenden nicht allzu gross.
  • Hunde: Wer einen Hund besitzt, weiss, wie schnell es beim Spazieren zu Kontakten mit anderen Menschen (mit und ohne Vierbeiner) kommt. Und wer oft zur gleichen Tageszeit die gleiche Strecke nimmt, vergrössert die Chance, dass sich lockere Bindungen vertiefen können.
  • Gruppenreisen: Mit anderen zwei, drei Wochen Neues erkunden und Gemeinsames erleben, kann Menschen zusammenschweissen. Bei der Heimreise keimt gern der Wunsch auf, mit bestimmten Mitreisenden weiter in Kontakt zu bleiben und sich regelmässig zu treffen. Wetten: Nach einigen Zusammenkünften werden nicht mehr Erinnerungen an die gemeinsame Reise alleiniges Gesprächsthema sein, sondern auch Freuden und Leiden, die im Alltag erlebt werden.
  • Alte Beziehungen aufleben lassen: Viele Freundschaften schlafen über die Jahre ein. Oft liegt es am anforderungsreichen Berufsalltag, manchmal auch am Bestreben, immer mehr Zeit und Energie in die eigene Karriere zu investieren. So oder so: Die Zeit wird knapper, alle Beziehungen zu pflegen und die Zahl der engeren Bindungen nimmt ab. Um den Freundeskreis zu vergrössern, ist es meist einfacher, eingeschlafene Freundschaften neu zu beleben als «von ganz vorn zu beginnen».

Warum gute Beziehungen wichtig sind

Seit 1938 läuft die vermutlich längste Studie überhaupt: Sie verfolgt die Entwicklung von erwachsenen Männern, seit einigen Jahren auch von deren Frauen und Nachkommen. «Die wichtigste Botschaft, die wir aus dieser Studie erhalten haben, ist: Gute Beziehungen machen uns gesünder und glücklicher», so der vierte Studienleiter, Harvard-Professor Robert J. Waldinger. Er sagte, beim Thema Beziehungen hätten sich drei Punkte herauskristallisiert:

1.  Menschen, die sozial gut verbunden sind, sind glücklicher und gesünder und leben länger als Leute, die weniger gute Beziehungen haben. Menschen, die einsamer sind, als sie es sein wollen, sind weniger glücklich; ihre Gesundheit verschlechtert sich früher und sie sterben früher als Menschen, die nicht einsam sind.

2.  Es kommt nicht nur auf die Anzahl der Freundschaften an und ob man in einer festen Beziehung ist oder nicht, sondern auf die Qualität der engen Beziehungen. Jene Menschen, die mit fünfzig am zufriedensten in ihren Beziehungen waren, waren die gesündesten im Alter von achtzig Jahren.

3.  Gute Beziehungen schützen nicht nur unseren Körper, sondern auch unser Gehirn vor einem frühzeitigen Gedächtnisabbau.

Gute Beziehungen, stellte Robert J. Waldinger klar, müssen nicht reibungslos verlaufen. Wichtig sei das Gefühl, in Zeiten der Not auf die andere Person zählen zu können. Und: «Unsere Studie zeigte immer wieder, dass es jenen Menschen am besten ging, die in Beziehungen, in die Familie, in Freundschaften, in die Gemeinschaft investierten.»