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Entscheidungsfindung: Wie entscheide ich mich richtig?

Oft steht die «Qual der Wahl» einem klaren und zielführenden Entscheid im Weg. Prof. Dr. Katrin Fischer erforscht die verschiedenen Mechanismen, die bei der Entscheidungsfindung mitspielen.

Frau Professor Fischer, ein altrömischer Leitspruch sagt, man solle sich jede Handlung sorgfältig überlegen und immer auch die Konsequenzen in Betracht ziehen. Macht diese Regel in unserer hochkomplexen Welt noch Sinn?
Prof. Dr. Katrin Fischer*: Bei weitreichenden Entscheiden wie etwa Berufswahl und Stellenwechsel oder auch bei schwierigen Situationen im medizinischen Bereich ist es schon wichtig, dass man versucht, sich die jeweiligen Gegebenheiten möglichst plastisch vorzustellen und sich in sie hineinzuversetzen. Überdies sollte man sich so realistisch wie möglich überlegen, welche Konsequenzen die eine oder andere Situation zur Folge haben könnte.

Ist der Mensch fähig, aus schlechten Erfahrungen zu lernen und so seine Entscheidungskompetenz zu optimieren?
Wir alle müssen Entscheidungsfähigkeit erlernen, denn sie wird uns nicht einfach von Geburt an mitgegeben. Die Frage, ob wir aus negativen Erfahrungen lernen und unseren Erfahrungsbackground erweitern können, bejahe ich – vorausgesetzt, es besteht die Bereitschaft, sich selbst und die eigenen Entscheidungsprozesse kritisch zu überdenken. Es genügt eben nicht, einfach festzustellen «Ist halt schlecht gelaufen», um dann womöglich einem anderen Menschen oder bestimmten Lebensumständen die Schuld zu geben. Man muss bereit sein, sich selbst Fragen zu stellen.

Welche Art Fragen sollte ich mir stellen?
Sie gehen in diese Richtung: «Wie bin ich zu dieser Entscheidung gekommen? Welche Aspekte habe ich berücksichtigt und welche ausser Acht gelassen?» Grosse Bedeutung hat auch die Frage: «Bin ich mir selbst ehrlich genug gegenübergetreten?» Ist die Selbstbefragung ehrlich verlaufen, kann man viel daraus lernen und unter Umständen aus einem «falschen» Entscheid noch etwas Gutes ziehen.

Spielen bei wichtigen Entscheidungen Verstand und Vernunft oder eher das «Bauchhirn» die Hauptrolle?
Zunächst sollen wir – auf der Basis von Informationen oder mit der Unterstützung von sachkundigen Expertinnen und Experten – versuchen, einen möglichst vernünftigen und rationalen Entscheid zu fällen. Es kann aber vorkommen, dass wir das Gefühl haben, unsere Entscheidung sei doch nicht so ganz richtig: Da spricht nun unser Bauchgefühl und vermittelt uns eine sehr wichtige Information, die wir ernst nehmen sollten. Damit ist nicht gemeint, dass wir unseren Entscheid sofort über Bord werfen müssten. Aber unsere Gefühle haben eine Korrekturfunktion. Sie mahnen uns, nochmals zu prüfen, ob wir etwas Bedeutsames übersehen haben. Vernunft und Gefühl sind also keine Gegenspieler, sondern das Gefühl ist eher ein Mahner und Wächter und gibt mir Hinweise, dass etwas noch nicht genügend gut überprüft und bedacht worden ist.

Als Dozentin lehren Sie unter anderem auch Techniken der Entscheidungsfindung. Können Sie an einem Beispiel das «Grundmuster» erklären?
Ja, und als Beispiel gehen wir davon aus, dass sich Frau X zwischen einem Jobangebot A und einem Angebot B entscheiden muss. In diesem Fall kann die «Tetralemma-Methode» hilfreich sein. Zunächst vertieft sich Frau X in die Option A: Welche Konsequenzen sind zu erwarten, wie fühlt sie sich damit? Dann ändert sie im Raum, in dem sie sich aufhält, den Platz und überdenkt hier die Option B. Bei diesem Positionswechsel im Raum wird Frau X vermutlich spüren, an welchem Platz sie sich wohler gefühlt und vielleicht den besseren Überblick gewonnen hat. Nun zum dritten Schritt der Tetralemma-Methode: Es stellt sich die Frage, ob sich allenfalls Option A und Option B miteinander verbinden liessen.

Wie könnte dies in der Realität aussehen?
Angenommen, Frau X hat ein Jobangebot in Bern, wohnt aber in Zürich. Sie fragt sich, ob sie nach Bern umziehen oder eher in Zürich bleiben und zwischen den beiden Städten pendeln soll – und wie würde sich das Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsort auswirken? Ergibt sich keine eindeutige Entscheidung, ist es vielleicht besser, noch zuzuwarten, ob allenfalls eine Option C die beste Lösung bringen würde. Eine letzte und wichtige Frage stellt sich so: Geht es wirklich um eine Entscheidung zwischen A und B?

Sie bauen Spannung auf – um welche Lösung könnte es nun gehen?
Vielleicht kommt Frau X zur Erkenntnis, dass sie sich eine neue Arbeitsstelle sucht, weil sie am jetzigen Arbeitsplatz gemobbt wird. Es geht also weder um einen Ortswechsel noch um ein anderes Jobangebot. Das eigentliche Problem ist die Mobbingsituation: «Wie stellt sich meine Lebenssituation dar und wie kann ich den Konflikt lösen, der mich belastet?» Bei Beratungen zur Entscheidungsfindung kommt es nicht selten dann zu einem Aha-Erlebnis, wenn erkannt worden ist, dass nicht unbedingt zwischen A und B entschieden werden muss, sondern dass es um ein Problem geht, das ganz woanders gelagert ist.

Der Soziologe Peter Gross hat einmal launig geschildert, wie schwer es ihm gefallen sei, im Supermarkt zwischen all den Joghurtsorten eine Wahl zu treffen. Schon bei der Kasse habe er sich gefragt, ob er sich nicht doch anders hätte entscheiden sollen. Weshalb ziehen wir oft einen einmal getroffenen Entscheid hinterher in Zweifel?
Wahrscheinlich kennen viele von uns ähnliche Situationen. Da bestellt man im Restaurant ein Menü, es wird serviert – und plötzlich hat man das Gefühl, man hätte besser das bestellen sollen, was unser Gegenüber auf seinem Teller hat. Geht es um wirklich ernste Entscheidungen, können wir den Ausgang manchmal gar nicht beeinflussen. Wichtig ist jedoch, dass wir uns sorgfältig und ehrlich überlegen, welches denn tatsächlich unsere Ziele sind. Ist der Entscheidungsprozess gut gestaltet worden, können wir auch mit Konsequenzen zurechtkommen, die nicht unbedingt ideal sind.

Zur Basis eines gut verlaufenden Entscheidungsprozesses gehört ehrliche Selbstbefragung?
Unbedingt, und so kann sich etwa bei einer beruflichen Entscheidungsfindung die Erkenntnis herausbilden: «Ich möchte eigentlich nicht mehr so viele Überstunden machen und bis zur Erschöpfung arbeiten» – obwohl man soziale Anerkennung bekommt, wenn man ohne Unterlass einsatzbereit ist. Selbstverständlich können Entwicklungen auftreten, die nicht voraussehbar waren und uns zwingen, sozusagen zwischen Pest und Cholera zu entscheiden.

Weshalb schiebt man manchmal einen Entscheid möglichst lange vor sich her?
Das kann damit zu tun haben, dass man sich vor dem schwierigen Prozess der Entscheidungsfindung oder auch vor damit verbundenen Konflikten scheut. Manche Entscheidungen brauchen aber auch eine gewisse Reifezeit. Spürt man, dass man den richtigen Punkt noch nicht erreicht hat, sollte man sich Zeit geben. In Situationen der Unsicherheit ist es gut, vor einem endgültigen Entscheid nichts zu unternehmen, was die individuellen Handlungsmöglichkeiten einschränkt, sondern Alternativen offenlässt. Bei Entscheidungen, die weitreichend sind und ein mitmenschliches Umfeld betreffen, ist es ratsam, sich nicht einfach ins stille Kämmerlein zurückzuziehen, sondern mit einem vertrauten Menschen ins Gespräch zu kommen: «Du, ich bin da in einer Situation, die …» Die angesprochene Vertrauensperson sollte aber keinen Rat geben, sondern in einem kritischen Feedback dazu anregen, dass der Entscheidungsprozess reflektiert und begründet wird.

* Frau Prof. Dr. Katrin Fischer ist Professorin am Institut Mensch in komplexen Systemen an der Hochschule für Angewandte Psychologie (Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW).