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Schwangerschaft: Unerfüllter Kinderwunsch?

Eines von sechs Paaren leidet an Unfruchtbarkeit. Dank assistierender Reproduktionsmedizin muss es heutzutage allerdings nicht immer bei Kinderlosigkeit bleiben. Je nach Ursache eignen sich unterschiedliche Massnahmen, die das Familienglück ermöglichen können.

Über neunzig Prozent aller Schweizer im Alter von zwanzig bis neunundzwanzig Jahren wollen eine Familie mit einem oder sogar mehreren Kindern gründen. Was aber, wenn es einfach nicht klappen will? Laut WHO (World Health Organization) liegt eine Fruchtbarkeitsstörung (Infertilität) vor, wenn trotz regelmässigem Geschlechtsverkehr innerhalb eines Jahres keine Schwangerschaft eintritt oder diese nicht zu Ende geführt werden kann.

Ursachen von Unfruchtbarkeit

Manchmal stecken ganz banale Gründe wie schlechtes Timing beim Geschlechtsverkehr dahinter. Zum «richtigen Zeitpunkt» werden beispielsweise berufliche Termine priorisiert und Kuschelstunden müssen warten. Als Hauptursache für unerfüllten Kinderwunsch gilt aber das Alter. Paare warten immer länger bis zur Familiengründung und das hat Konsequenzen. Während unter den Zwanzigjährigen durchschnittlich bereits jede fünfte Frau bei Verkehr um den Eisprung innerhalb eines Monats schwanger wird, ist es unter den Vierzigjährigen nur mehr jede zwanzigste. Nicht nur, dass jedes unreife Ei mit der Frau mitaltert, mit zunehmendem Alter reduziert sich auch die Eierstockreserve an unreifen Eizellen und die Gebärmutterschleimhaut verliert an Substanz. Bei Männern zeigen sich erste Einbussen tendenziell etwas später. Bei ihnen können über die Jahre hinweg allerdings Menge und Qualität der Spermien leiden und Gendefekte können zunehmen. Unfruchtbarkeit wird somit massgeblich vom Alter beeinflusst, kennt aber noch eine Vielzahl weiterer Gründe.

Behandlung

Das A und O einer zielführenden Therapie ist eine detaillierte Abklärung. Nur wer weiss, woran der unerfüllte Kinderwunsch liegt, kann entsprechende Gegenmassnahmen treffen. Ei- und Samenspende von Drittpersonen sowie Leihmutterschaft sind hierzulande nicht erlaubt. Interessiert es Sie, was in der Schweiz alles möglich ist?

Chirurgische Eingriffe

Bei Frauen kann eine Operation beispielsweise bei Polypen auf der Gebärmutter oder bei Eierstockzysten sinnvoll sein. Auch Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut (Endometrioseherde), Verwachsungen oder verklebte Eileiter werden oft chirurgisch gelöst. Beim Mann wiederum wird zum Skalpell gegriffen, um Krampfadern am Hoden zu entfernen oder die Durchgängigkeit der ableitenden Samenwege (z. B. Samenleiter) zu verbessern. Die meisten dieser Behandlungen sind minimalinvasiv, können also über einen kleinen Schnitt erfolgen.

Hormongaben

Der weibliche Zyklus wird bekanntlich durch bestimmte Hormone gesteuert. Eine Frau schüttet im gebärfähigen Alter beispielsweise das sogenannte follikelstimulierende Hormon (FSH) aus, damit ein Ei heranreift. Mit dem luteinisierenden Hormon (LH) wird der Eisprung ausgelöst und Progesteron sorgt dafür, dass die Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutter gelingt. Bei hormonellen Defiziten der Frau kann es Sinn machen, eines oder mehrere dieser Hormone von aussen zuzuführen. Damit die richtigen Präparate zum idealen Zeitpunkt verabreicht werden, sind zumeist engmaschige Ultraschallkontrollen unerlässlich.

Insemination

Ist die Zeugungsfähigkeit des Mannes eingeschränkt oder ist der Muttermundschleim der Frau zu zäh, können Spermien oft nicht bis zur Eizelle vordringen. Eine sogenannte Insemination kann jetzt hilfreich sein. Dabei wird eine Samenprobe des Partners im Labor derart aufbereitet, dass sie eine möglichst hohe Anzahl an gut beweglichen Samenzellen enthält. Am Tag des Eisprungs, der auf natürlichem Wege oder mit hormoneller Unterstützung ausgelöst worden sein kann, wird diese Probe über einen dünnen Katheter in die Gebärmutter gespritzt. Von dort müssen die Samenzellen dann allerdings selbstständig über die Eileiter zur Eizelle finden.

Künstliche Befruchtung: IVF

Der Meilenstein der künstlichen Befruchtung wurde im Jahr 1978 gesetzt, als das erste Retortenbaby zur Welt kam. Ein Ei wurde dafür ausserhalb des Mutterleibs befruchtet und dann wieder in die Gebärmutter eingebracht. Dieses Verfahren wird zum Beispiel notwendig, wenn bei der Frau beide Eileiter irreparabel verschlossen sind, bei Endometriose, also wenn sich Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) ausserhalb der Gebärmutter ansiedelt, oder bei männlicher Fruchtbarkeitsstörung. Im klassischen Sinne spricht man bei dieser Behandlungsform von In-vitro-Fertilisation, kurz IVF («in vitro» = lateinisch für «im Glas», «Fertilisation» = «Befruchtung»).

Sonderform der künstlichen Befruchtung: ICSI

Bei schlechter Samenqualität des Mannes kann bei der «Zeugung im Reagenzglas» noch eine Zusatzmassnahme notwendig werden, dann nämlich, wenn das Spermium nicht aus eigener Kraft die reife Eizelle durchdringen kann. In einem solchen Fall wird mithilfe einer Mikropipette ein fittes Spermium in die Eizelle injiziert. Im Fachjargon spricht man von ICSI (intracytoplasmatische Spermieninjektion). Danach wird auch hier der Embryo in die Gebärmutterhöhle eingebracht. Alle weiteren Schritte laufen somit wie bei der IVF unter gewohnten Bedingungen im Mutterleib ab.

TESE (testikuläre Spermienextraktion)

Jene Samenzellen, die für eine künstliche Befruchtung nötig sind, werden grundsätzlich aus dem Samenerguss (Ejakulat) des Partners gewonnen. Dies ist allerdings nicht möglich, wenn die Spermienqualität sehr schlecht ist oder sich gar keine Samenzellen im Ejakulat befinden (Azoospermie). In einem solchen Fall können Spermien unter Umständen mithilfe eines chirurgischen Eingriffs aus den Hoden (Testes) oder Nebenhoden entnommen werden.

Das Wunder «Mensch»

Die Möglichkeiten, unerfüllten Kinderwunsch wahr werden zu lassen, sind vielversprechend. Weltweit soll es heute schon mehr als sechs Millionen IVF-Kinder geben. In der Schweiz werden jährlich rund zweitausend Retortenbabys entbunden. Ginge es auf ganz natürlichem Wege zu, wären somit viele Menschen heute gar nicht geboren. Die Reproduktionsmedizin kennt aber auch ihre Schattenseiten wie schwankende Erfolgschancen, Arzneimittelnebenwirkungen, Risiken für die werdenden Eltern und mögliche Spätfolgen beim Kind. Was bleibt, ist somit immer noch die Demut gegenüber der Lebensschöpfung und die Akzeptanz, dass dieses Wunder trotz aller Fortschritte noch immer nicht in jedem Fall gelingt.

Ursachen von unerfülltem Kinderwunsch

Unfruchtbarkeit liegt zu je einem Drittel nur an der Frau, nur am Mann oder an beiden. Zu den häufigsten Gründen zählen:
Geschlechtsunspezifisch: zunehmendes Alter, bestimmte Erkrankungen (z. B. Tumoren oder Diabetes), gewisse Infektionen, Über- oder Untergewicht, Fehlernährung, Bewegungsmangel, Stress, Medikamente (z. B. Chemotherapie), Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum, …
Typisch weiblich: unregelmässiger Zyklus (hormonbedingt), Zysten in den Eierstöcken, Endometriose (Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutter), organische Schäden an Gebärmutter oder Eileiter, …
Typisch männlich: schlechte Spermienqualität (unzureichende Menge, Beweglichkeit oder Form) z. B. durch Krampfadern am Hodensack oder Infektionen wie Mumps, Verschluss der Samenwege, hormonelle Fehlsteuerungen, Erektionsstörungen, …
Die Gründe lassen sich nicht immer eruieren. Bei fünfzehn bis dreissig Prozent der Paare bleibt die Ursache unbekannt.

Spermienqualität

Laut WHO stimmt die Spermienqualität, wenn pro Milliliter Ejakulat mindestens fünfzehn Millionen Samenzellen vorhanden sind, davon vier Prozent normal geformt sind und vierzig Prozent sich als gut beweglich erweisen.