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Resilienz: Kraft von innen

Wie gelingt es uns, in belastenden Situationen oder trotz eines schweren Schicksalsschlags unseren Lebensmut zu behalten? Dr. Johannes Beck, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde für Psychiatrie und Psychotherapie in Riehen/Basel, befasst sich intensiv mit dem Thema Resilienz.

Herr Dr. Beck, der Fachbegriff Resilienz umfasst vermutlich mehr als positives Denken oder eine «Alles wird gut»-Einstellung?
Dr. Johannes Beck*:
Resilienz beschreibt die Fähigkeit, trotz widriger Umstände oder schwerer Belastungen gesund zu bleiben – oder dass es gelingt, Kräfte zu mobilisieren und das gesunde Gleichgewicht zurückzugewinnen. Dies ist nun keinesfalls moralisierend zu verstehen, etwa in dem Sinne, als sich Menschen mit einer geringeren Widerstandskraft zu wenig anstrengen würden. Resilienz ist eine Fähigkeit, die manchen Menschen mehr und manchen weniger zur Verfügung steht.

Ist dieser mehr oder weniger grosse Anteil genetisch vorgegeben oder geht es eher um die jeweiligen Lebensumstände?
Da spielen mehrere Faktoren mit. Ganz klar, die Genetik hat einen gewissen Einfluss. Manche Menschen sind von ihrer genetischen Ausstattung her verletzlicher und reagieren auf Stress oder traumatische Ereignisse entsprechend feinnervig. Aber mittlerweile ist klar geworden, dass der genetische Anteil bisher eher überschätzt worden ist: Nun spricht man von einer Gen-Umwelt-Interaktion. Die Veranlagung wird stark von der Lebensgeschichte beeinflusst und es sind vor allem die frühen Lebensjahre eines Menschen, die ein bestimmtes Grundmuster bilden. Insbesondere bei der Resilienz weiss man, dass eine gute Bindung des kleinen Kindes zu seinen Eltern oder einer Bezugsperson und das Gefühl von Geborgenheit, Verlässlichkeit und Stabilität die Bildung der inneren Kräfte stärken. Es ist hier nicht die Rede von einem Idealzustand oder von total störungsfreier Harmonie, sondern es geht um ein Grundgefühl. Um die Gewissheit, dass zum Beispiel auch nach einem Konflikt das liebevolle Beziehungsangebot weiterhin bestehen bleibt. Schwere Belastungen, Traumata oder chaotische Umstände sind hingegen für die Entwicklung des Kindes ein Risikofaktor. Die gute Nachricht: Der Mensch kann im Verlaufe seines Lebens lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen.

Innere Widerstandskraft ist trainierbar?
Zum Glück sind wir Menschen lernfähig. Selbst wenn der Start ins Leben von einer schweren Hypothek belastet war, kann ein Mensch lernen, sich seinem Dasein zuzuwenden und sich zu fragen: «Welche Werte sind mir wichtig, nach welchen Werten möchte ich mich ausrichten? Ich muss akzeptieren, dass es in meinem Leben schwierige Umstände gibt. Trotzdem kann ich versuchen, mich den positiven Dingen zuzuwenden oder mich einer bestimmten Sache mit Hingabe zu widmen.» In der Psychotherapie hat die sogenannte Wertearbeit sehr an Bedeutung gewonnen. Es stellen sich Fragen wie «Was weist über mich hinaus, welchen höheren Zielen möchte ich mich zuwenden?» Es kann sich um Natur und Umwelt, um Spiritualität oder soziales Engagement handeln: Immer geht es um das Innewerden von heilenden Kräften – durch eine engagierte Zuwendung zu echten Werten, die für das betreffende Individuum sinnstiftend und tragend sind. Damit ist nicht gemeint, dass man sich krampfhaft bemühen und bei Misserfolg als Versager sehen müsste. Entscheidend ist die Fähigkeit, trotz eines schwierigen Lebensstarts oder belastender Lebenssituationen die Hingabe zu wirklich Wichtigem zu erhalten.

Wie ist es Menschen überhaupt möglich, Familientragödien, Folterungen und Krieg oder andere schwerste seelische Erschütterungen zu überstehen?
Ja, man fragt sich, wie es manchen Menschen gelingt, nach katastrophalen Ereignissen und Erfahrungen dennoch ein halbwegs normales Leben führen zu können. Diese Menschen sind Beispiele für ein hohes Potenzial an Resilienz, überdies sind sie wohl auch biologisch ausgesprochen robust ausgestattet. Sie erzählen manchmal, dass das Vertrauen in eine höhere Macht – die nicht religiös sein muss – ihre Widerstandskraft gestärkt habe. Oder ein Perspektivwechsel hat ihnen Kraft gegeben – indem sie sich zum Beispiel entschlossen haben, ihren Folterknecht als bedauernswertes, in seinem Tun selbstzerstörerisches Individuum zu sehen.

Ist das oft verwendete Nietzsche-Zitat «Was mich nicht umbringt, macht mich stärker» nicht ziemlich fragwürdig?
Solch eine Haltung kann bei manchen durchaus Kräfte wecken, von anderen wird sie vielleicht als zynisch empfunden – so im Sinne von «Du wärst zwar fast gestorben, aber eben nur fast, also reiss dich jetzt zusammen.» Viele unserer Patienten sind in manchen Bereichen ihres Lebens engagiert, widerstandsfähig und stark. Aber sie werden dennoch immer wieder eingeholt von schweren Erfahrungen. Es geht dann nicht um Charakterschwäche, sondern etwa um posttraumatische Belastungsstörungen, um ganz reale Krankheitsabläufe, die behandelt werden müssen. Aber auch in solch schwierigen Fällen gibt es begründete Hoffnung, dass es besser werden kann.

Kommt es häufig vor, dass jemand im Berufsleben mit Stress und Krisensituationen sehr souverän umgeht, im familiären Umfeld dagegen rasch empfindlich, beleidigt, unduldsam oder gar jähzornig reagiert?
Resilienz ist tatsächlich keine globale, die ganze Persönlichkeit und alle Lebensbereiche gleich betreffende, umfassende Eigenschaft. Es kann durchaus sein, dass sich jemand im privaten Bereich emotional nicht sicher fühlt. Vielleicht ist die Beziehung nicht sehr stabil. Unsicherheitsangst kann damit zu tun haben, dass beispielsweise ein Mann in der Kindheit die Mutter als unberechenbar erlebt hat und deshalb fürchtet, nun von der Partnerin verlassen zu werden. Anders im Beruf: Da kann sich derselbe Mensch auf einer sehr viel sachlicheren, nüchternen Ebene bewegen. Kommt es zu Konflikten, hat er die Möglichkeit, sich auf Regeln und Normen zu berufen, während er im emotionalen Umfeld Angst hat, verletzt zu werden.

Ist die körperliche Gesundheit stark abhängig vom Grad der seelisch-geistigen Widerstandsfähigkeit?
Hier bestehen Wechselwirkungen, die in beide Richtungen gehen. Entschliesst sich jemand bewusst, so zu leben und zu entscheiden, dass er oder sie mit sich weitgehend im Reinen sein kann, hat dies gewiss eine Schutzwirkung – auch auf den Körper. Ein ganz wichtiger Resilienzfaktor ist übrigens auch der sogenannte «menschliche Support»: die Familie, aber auch eine Wahlgemeinschaft, ein Freundeskreis, ein Verein oder eine Interessens-, Arbeits- oder Glaubensgemeinschaft. Erlebe ich mich als Teil einer Gemeinschaft, die sinnvolle Ziele verfolgt, mit denen ich mich identifizieren kann, dann übt dies eine ausgesprochen gute Schutzwirkung aus. Das Gefühl des Aufgehobenseins in einer Gemeinschaft, die mich trägt, kann man als Gnade bezeichnen, man muss sich aber auch um Kontakte kümmern und sie pflegen.

Sport kann wohl ebenfalls zum Resilienzaufbau beitragen?
Gewiss, auch Sport ist ein aktiver Resilienzsteigerer. Wenn ich erlebe, dass mir die Fahrt mit dem Velo auf den Hausberg jedes Mal leichter fällt, ist das ein Erfolgserlebnis, das auch biologisch positive Auswirkungen hat: Die ganzen Stresshormone werden durch die körperliche Aktivität nach unten reguliert. Zu erwähnen ist überdies, dass in der modernen Psychotherapie der Resilienzaspekt der Achtsamkeit ebenfalls wichtig ist.

Was meint «Achtsamkeit» in diesem Zusammenhang?
Achtsamkeit hat nichts mit Angstabwehr zu tun. Jene Individuen, die alle Ängste ausgeschaltet haben, sind ausgestorben, weil ihnen die Wahrnehmung von Gefahren abhandengekommen ist. Achtsamkeit bedeutet: Ich versuche, im Hier und Jetzt zu sein. Ich schaue nicht immer wieder in die Vergangenheit zurück und versuche, mich weder vom Vergangenen noch von Zukunftssorgen belasten zu lassen, sondern ganz bewusst in der Gegenwart zu leben.

* Dr. Johannes Beck ist Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie der Klinik Sonnenhalde in Riehen, Basel.