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Potenzstörungen: Man(n) kann auch mal versagen

Über Störungen der Sexualfunktionen sprechen Männer im Allgemeinen nicht sonderlich gern. Das Gespräch mit einem Andrologen, im Volksmund Männerarzt genannt, kann sehr hilfreich sein. Einer dieser Ansprechpartner ist Dr. David Zimmermann vom Andrologiezentrum Zürich (Uroviva).

Doktor Zimmermann, ist die bekannte Frage «Wann ist ein Mann ein Mann?» immer mit dem Thema Potenz verknüpft?
Dr. med. David Zimmermann*: So wird es häufig von den Medien propagiert, wobei Mannsein nicht ausschliesslich über Sexualität definiert wird. Für viele Menschen gehört natürlich ein erfülltes Sexualleben zum Lebensglück dazu. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Männlichkeit ist sicherlich auch die biologische Fortpflanzung bzw. der Kinderwunsch. Was den «echten» Mann anbelangt, der angeblich immer können muss: Die sexuelle Leistungsfähigkeit ist sehr individuell und sollte stimmig sein mit dem jeweiligen Geschlechtspartner. Was für den einen nicht besser sein könnte, kann für einen anderen zu wenig sein. 

Trifft die Vermutung zu, dass aktuell insbesondere jüngere Männer unter Erektionsstörungen leiden?
Nein, statistisch treten gemäss grosser Studien Erektionsstörungen mit zunehmendem Alter häufiger auf. So sind rund zwei Prozent der Dreissig- bis Neununddreissigjährigen und bis zu dreiundfünfzig Prozent der Siebzig- bis Neunundsiebzigjährigen hiervon betroffen. In meiner Sprechstunde stellen sich dennoch häufig auch jüngere Männer mit eingeschränkter Potenz vor. Ich denke, die Erwartungshaltung der jüngeren Männer ist bezüglich ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren gestiegen. Ihre noch verhältnismässig geringe sexuelle Erfahrung und dadurch bedingte Unsicherheit mögen ebenfalls zur Problematik beitragen.

Sind junge Männer relativ rasch bereit, einen «Männerarzt» um Rat und Hilfe anzugehen?
Obwohl diese Themen oft mit Unsicherheit und Schamgefühl verbunden sind, habe ich tatsächlich den Eindruck, dass durch die verbesserte Aufklärung (Zeitungen, Internet, Medien etc.) die Patienten häufiger den Weg in die Sprechstunde finden. Ein offenes Gespräch ist der erste Schritt. Hier geht es manchmal auch darum, die Erwartungshaltung zu erfragen und diese eventuell etwas an die Realität anzupassen. Dies kann schon helfen, gewisse Unsicherheiten abzulegen. Natürlich geht es in jedem Fall auch darum, organische Ursachen auszuschliessen. Unser Anspruch ist es, den Betroffenen hierfür im Andrologiezentrum Zürich als Ansprechpartner nicht nur mit fachlicher Kompetenz, sondern auch mit hoher Sensibilität zur Verfügung zu stehen.

Kann eine Potenzstörung auf eine organische Erkrankung hinweisen?
Ja, und zwar sowohl bei jungen als auch bei älteren Männern. Nicht von ungefähr spricht man vom Penis als einer «Antenne des Herzens». Damit ist gemeint, dass Potenzprobleme ein Frühwarnsystem für Durchblutungsstörungen und Herzleiden sein können. Es empfiehlt sich daher eine Abklärung beim Kardiologen, insbesondere bei weiteren Risikofaktoren wie Rauchen oder Bluthochdruck. Zu betonen ist auch, dass häufig mehrere Faktoren zur Potenzstörung beitragen. So ist unumstritten, dass Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Testosteronmangel und Diabetes die Entstehung ebenfalls begünstigen.
Potenzbeschwerden haben bei der Hälfte der Männer unter vierzig eine psychogene Ursache, während im Alter meist organische Ursachen vorliegen. Daher ist es in diesen Risikogruppen so wichtig, dass eine entsprechende interdisziplinäre Abklärung erfolgt, um andere gesundheitliche Komplikationen wie zum Beispiel einen Herzinfarkt zu verhindern.

Können Depressionen eine Rolle für die Entstehung von Sexualstörungen spielen?
Eine Studie hat den Zusammenhang zwischen Sexual- bzw. Erektionsstörung und Depressionen nachgewiesen. Weil auch die psychische Gesundheit für ein normales Sexualleben wichtig ist, erstaunt es nicht, dass eine Depression mit Sexualstörungen einhergehen kann. Andererseits kann Impotenz eben zu grossen Konflikten, Ängsten und Partnerschaftsproblemen führen und so Depressionen begünstigen. Die Zusammenhänge müssen in beiden Richtungen ermittelt werden. Zudem muss beachtet werden, dass Erektionsstörungen auch durch Antidepressiva verursacht werden können.

Bei der Frage, ob partnerschaftliche Konflikte zuweilen die Ursache für eine Potenzstörung sein können, geht es wohl wiederum um eine Verflechtung von Problemen?
Genau, die Herausforderung bei der Behandlung einer Sexualstörung besteht häufig im Erkennen des Ineinandergreifens von mehreren Faktoren. Weil es sich häufig um ein multifaktorielles Geschehen handelt, können manchmal auch mehrere Therapieansätze helfen. Beispielsweise wird der Bluthochdruck gut eingestellt, der Patient achtet auf regelmässige sportliche Betätigung und das Paar löst unausgesprochene Konflikte mithilfe einer Paartherapie.

Bitten Sie manchmal auch die Partnerin des Patienten zum Gespräch?
Kommt die Partnerin gleich mit zur Beratung ist klar, dass ein offenes Gespräch zu dritt gewünscht ist. Sonst aber ist zunächst einmal ein vertrautes Gespräch mit dem Patienten allein wichtig. Meist fällt es leichter, bei der Erstkonsultation unter vier Augen über Probleme und Ängste zu sprechen. Ich denke etwa an jenen Patienten, der mir erklärte, dass er früher in der Partnerschaft der sexuell aktive und fordernde Teil gewesen sei, während heute seine Partnerin mehr verlange: Er sah sich in der ungewohnten Situation, als Mann ablehnend reagieren zu wollen.

Sprechen junge Männer offener über Probleme als jene mittleren Alters?
Das ist schwierig am Alter festzumachen. Ich denke, es hat auch mit einer gewissen Reife und individuellen sexuellen Erfahrungen zu tun. Das offene Gespräch über sexuelle Wünsche und Abneigungen innerhalb einer Beziehung beugt Missverständnissen vor. Hierdurch können idealerweise Konflikte vermieden und eine gesunde Sexualität gefördert werden. Wenn es trotzdem einmal nicht funktioniert, darf «Man(n)» nicht gleich an seiner Potenz zweifeln. In einer stabilen langjährigen Ehe fällt eine offene Kommunikation sicher leichter als mit einer neuen Bekanntschaft. Meist ist es hilfreich, wenn der Partner bei weiteren Abklärungen und Therapien miteinbezogen wird.

Unsere Gesellschaft ist auf allen Ebenen auf Leistung getrimmt. Selbst in Arztserien kommt es zu heissen Sexszenen und Pornos simulieren ekstatischen Marathon-Sex. Generieren derartige Darbietungen realitätsferne Vorbilder, die Versagensängste vorprogrammieren?
Es spricht prinzipiell nichts dagegen, sich auch mal in Fantasiewelten zu begeben und zu träumen. Entscheidend ist, wie so oft, die Konsummenge. Fraglos ist übermässiger Pornokonsum heute deutlich verbreiteter als vor dreissig Jahren. Sexualtherapeuten können sicher bestätigen, dass auf diese Weise häufig unrealistische Massstäbe entstehen und in der Folge zu Sexualstörungen führen können. Auch der visuelle Reiz, beispielsweise durch Pornografie, ist als Beobachter vor dem Fernseher ein völlig anderer als aus der Perspektive in einer intimen Situation mit dem Partner. Hier spielen neben dem Sehen eben auch wieder andere Sinne wie Fühlen, Riechen usw. eine wichtige Rolle.

Nimmt der Lifestyle qualitativ Einfluss auf die Sexualität?
Mit Sicherheit und neben den bekannten Kriterien wie ausgewogene Ernährung, Verzicht auf Drogen, Nikotin und übermässigen Alkoholkonsum spielen auch sportliche Aktivität und Stressabbau eine wichtige Rolle. Der Begriff «Work-Life-Balance» ist das Stichwort.

Was ist heute von Martin Luthers altbekannter Sex-Regel «In der Woche zwier, schadet weder ihm noch ihr?“ zu halten?
Es bestehen keine wissenschaftlichen Regeln, die für sexuelle Aktivität eine Minimal- oder Maximaldosis festlegen würden. Entscheidend ist doch, dass sich beide Partner wohlfühlen.

* Dr. med. David Zimmermann leitet als Urologe und zertifizierter Androloge/«Männerarzt» seit 2018 das Andrologiezentrum Uroviva am Standort Zürich-Stadelhofen.