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Pharmaziegeschichte: ein kleiner Einblick

Unsere Vorfahren waren auch einmal krank oder verletzt. Sie setzten eine Tinktur aus toten Spinnen, das Harz des Drachenbaums oder pulverisierte, arsenhaltige Mineralien zur Heilung ein. Ein Einblick in die Geschichte der Pharmazie.

Schon die Neandertaler versuchten offenbar, bei Krankheit oder bei einer Verletzung mit bestimmten Pflanzen eine Heilung zu bewirken. Wissenschaftler hegen diese Vermutung aufgrund von Hinweisen, die sie in Gräbern der Neandertaler gefunden haben.. Gemäss Studien sollen sogar bereits Primaten bestimmte Früchte nur dann gegessen haben, wenn sie krank waren, wie Michael Kessler, der verstorbene Leiter des Pharmaziemuseums der Universität Basel, immer erzählt habe, erinnert sich der Historiker Martin Kluge, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum.

Wissen aus der Antike

Das Wissen, wie man Pflanzen, Tiere und Mineralien als Heilmittel verwendet, geht in Europa noch bis ins späte Mittelalter auf die gesammelten Erkenntnisse aus der Antike zurück. Zwar glaubten die Griechen, dass eine Krankheit die Strafe eines erzürnten Gottes sei und man sich einzig mit Opfergaben und religiösen Ritualen von der Krankheit befreien könne, aber sie erkannten auch natürliche Ursachen und forschten nach rationalen Heilmethoden, wie die Schriften des Aristoteles belegen. «Logisch aufbauendes Wissen und empirische Versuche bildeten fortan die Grundlage wissenschaftlichen Denkens», erklärt Kluge.

Krankenpflegeorden im Mittelalter

Die Schriften der griechischen und römischen Gelehrten wurden im frühen Mittelalter (5. bis 10. Jahrhundert) in den Klosterbibliotheken aufbewahrt. Vor allem Nonnen und Mönche des Benediktinerordens studierten die Heilkunde der Antike, gaben das Wissen weiter und wendeten es auch an, indem sie in den Klostergärten Heilpflanzen anbauten und diese zu Arzneimitteln verarbeiteten. «Die Krankenpflege wurde aber primär nicht als wissenschaftliche Disziplin betrieben, sondern war Teil der Aufgaben im Kloster. Das Seelenheil und nicht das körperliche Heil stand für die Behandlung im Vordergrund.»

Geburtsstunde des Apothekenwesens

Durch die Kreuzfahrer im Hochmittelalter und Handelsreisende wurde der Heilmittelschatz des Abendlandes mit Produkten und Wissen aus dem arabisch-persischen Raum markant erweitert. Es brauchte zunehmend ein Spezialwissen, die unterschiedlichen Ausgangsstoffe zu verarbeiten und korrekt mischen zu können, erklärt Kluge. Neue Verfahren wie zum Beispiel die Destillation kamen hinzu. Zubereitung und Vertrieb der Arzneimittel waren aber ungeregelt. Dies änderte Friedrich II, Kaiser des römisch-deutschen Reiches, 1241 im Edikt von Salerno: Er erliess Medizinalordnungen. Darin wurde festgehalten, dass nur in von der Obrigkeit anerkannten und kontrollierten Apotheken zu festgelegten Tarifen Arzneimittel, die nach einem gesetzlich anerkannten Arzneibuch hergestellt wurden, verkauft werden durften. Zudem trennte das Gesetz erstmals die Berufe des Apothekers und des Arztes.

Paracelsus und Alkaloide

In der Zeit des Humanismus (14. bis 16. Jahrhundert) verdrängt eine neue Denkform das alte Wertesystem. Neu ist der alchemistische Ansatz (die Lehre der Veränderbarkeit der Stoffe) des Schweizer Arztes Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493 bis 1541) – auch Paracelsus genannt. Neuartig waren seine vor allem auf Metallen und metallischen Salzen beruhenden Heilmittel sowie solche, bei denen er mittels alchemistischer Verfahren die wirkenden Stoffe aus der Pflanze herauszulösen versuchte. Von Paracelsus ist auch der Satz: «Die Dosis macht das Gift», was damals aber der vorherrschenden Meinung zuwiderlief. Denn eine Krankheit wurde als ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle) verstanden. Je stärker die Krankheit ausbrach, desto höher, so glaubte man, müsse man die Medikamente dosieren. Da man aber auch mit hochgiftigen Stoffen wie Quecksilber oder Arsen operierte, blieben Vergiftungserscheinungen nicht aus.

Gleiches mit Gleichem heilen

Bis man um 1800 entdeckte, dass einzelne Inhaltsstoffe massgeblich für die Wirkung zuständig sind, glaubte man an die Säftelehre. Ihr zufolge flossen im Körper vier Säfte. Den Säften wurden entsprechende Organe zugeordnet. Diese wiederum standen im Verhältnis zu den vier Elementen, den vier Himmelsrichtungen, den vier Jahreszeiten und vier Lebensaltern. Eine Seitenerscheinung war die Signaturenlehre. Diese besagte, dass die Ähnlichkeit zwischen dem Krankheitsbild und der äusseren Erscheinung einer Pflanze oder eines Tiers für die Wirkung verantwortlich sei. Also ein herzförmiges Pflanzenblatt zum Beispiel gut gegen Herzerkrankungen wirkt, die stachligen Blätter von Disteln gegen Seitenstechen nützen oder tote, zusammengerollte Spinnen, die der Form des Innenohrs gleichen, Ohrenschmerzen lindern. Verabreicht wurden die getrockneten oder gekochten Pflanzen- und Tierbestandteile in Form von Pulver, Tabletten, Säften oder Tinkturen. So wurde etwa eine Tinktur aus getrockneten, zerstossenen und in Mandelöl eingelegten Skorpionen zur Heilung von Wunden aufgetragen, die durch spitze Gegenstände – analog dem Stachel des Skorpions – entstanden waren.

Verbindliche Richtlinien

Arzneimittel aus tierischen Ausgangsstoffen machten im 18. Jahrhundert nur noch etwa zwanzig Prozent der gesamten Produktion aus. Einen noch kleineren Anteil hatten Medikamente mit mineralischen Substanzen. Den grössten Anteil am Arzneischatz bildeten die Heilpflanzen. Das botanische Wissen wurde in Kräuterbüchern gesammelt. Wie die sich aus mehreren Zutaten zusammengesetzten Arzneien herzustellen waren, stand in Rezeptbüchern. Im Laufe der Zeit entwickelten sich daraus Arzneibücher, sogenannte Pharmakopöen. Darin enthalten sind Bestimmungen und Bezeichnung der zur Herstellung verwendeten Stoffe sowie Vorschriften über die Qualität, Prüfung und Lagerung der Medikamente. 1865 wurde die erste, für die ganze Schweiz verbindliche und einheitliche Pharmakopöe in Kraft gesetzt.

Beginn der Pharmaindustrie

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelang es den Naturwissenschaftlern, einzelne Wirkstoffe aus Pflanzen zu extrahieren und rein darzustellen. Den Durchbruch schaffte 1804 der deutsche Apotheker Friedrich Sertürner, der Morphin aus Opium extrahierte und kristallisierte. Mit diesem neuen Verfahren wurde es möglich, einzelne Wirkstoffe in Medikamenten zu dosieren. Die Herstellung von Arzneimitteln wurde dadurch immer aufwendiger. Einzelne Apotheker begannen, sich auf die Produktion von Medikamenten zu spezialisieren und ihre Kollegen zu beliefern. So entstanden erste Industriebetriebe. Die Industrialisierung veränderte allmählich das Berufsbild der Apotheker: Sie gelten heute als erste Anlaufstelle, wenn es um Gesundheit geht, und bieten zum Wohle der Bevölkerung auch verschiedenste Servicedienstleistungen an.

Pharmaziemuseum der Universität Basel

In Öl eingelegte Kröten, Echsen und Hasenschwänze, getrocknete Käfer, pulverisierte Regenwürmer, Schlangenhäute, Hörner, Mineralien und viele Ausgangsstoffe mehr, die einst zu Arzneien verarbeitet wurden, können im Museum bestaunt werden. Aber auch ausgestopfte Krokodile, Kugelfische oder Stosszähne von Narwalen, die die Apotheker in früheren Jahrhunderten über ihre Rezepturtische hängten. Neben Arzneimitteln und Kuriositäten werden aber auch Arbeitsgeräte der Apotheker präsentiert wie Waagen, Mikroskope oder Behälter für die verschiedenen Medikamentenformen. Einen guten Eindruck, wie es in früheren Jahrhunderten in einer Apotheke oder in einem Labor ausgesehen hat, gewinnen die Besucher in entsprechend eingerichteten Räumen. Und mithilfe eines Audioguides werden alle Exponate verständlich erklärt. Weitere Informationen: www.pharmaziemuseum.ch.