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Höhenschwindel: Das Dilemma mit der Höhe

Wer von Höhenangst oder Höhenschwindel betroffen ist, für den kann die Höhe zur Hölle werden und jedes Berg-, Balkon- oder Brückenerlebnis wird zur Qual. Glücklicherweise lassen sich beide Phänomene behandeln und sind nicht einfach Schicksal. Von Höhenangst oder Höhenschwindel betroffene Menschen können durch wiederholte Konfrontation mit der Vogelperspektive lernen, damit umzugehen – und mit der Zeit eigene Grenzen überwinden.

Rebekka Thöni Tobler, Apothekerin FPH Offizinpharmazie, Homöopathin

Höhenschwindel

Der Höhenschwindel wird auch als visuelle Höhenintoleranz bezeichnet und betrifft etwa jede vierte Person. Meistens tritt Höhenschwindel erst im zweiten Lebensjahrzehnt auf und kann das ganze weitere Leben bestehen bleiben. Höhenschwindel wird durch konkrete Auslöser verursacht: Das kann ein exponierter Aussichtspunkt, das Besteigen einer Leiter oder das Begehen eines ausgesetzten Grates in den Bergen sein. Von Schwindel betroffene Personen suchen dann mit den Augen in der Umgebung nach Fixpunkten, finden aber nicht genügend davon. Dadurch ist der Informationsfluss zwischen dem für die Sehleistung verantwortlichen Gesichtssinn und der Steuerung der Körperhaltung gestört. Der Körper reagiert unkontrolliert und beginnt zu schwanken. Die Betroffenen empfinden ein Schwindelgefühl. Der Gang ist verlangsamt, kleinschrittig und vorsichtig.

Funktioneller Schwindel

Höhenschwindel hat auch eine seelische Komponente und gehört in die Klasse des funktionellen Schwindels (früher psychogener Schwindel genannt). Betroffene versuchen permanent, die Balance bewusst zu kontrollieren, was Schwindel provoziert beziehungsweise verstärkt. Auslöser sind meistens Stress im Berufs- oder Privatleben sowie körperliche Überanstrengung. Dieser Schwank- oder Benommenheitsschwindel ist morgens geringer, ebenso nach dem Genuss kleiner Alkoholmengen.
Höhenschwindel ist vergleichbar mit Skifahren bei schlechter Sicht in kontrastloser Schneelandschaft – das verursacht weiche Knie und ein mulmiges Gefühl im Bauch. Häufig kommen andere körperliche Anzeichen zum Schwindelgefühl hinzu. Übelkeit, Schweissausbrüche, Zittern und Herzrasen sind nur einige davon.

Höhenangst

Die Höhenangst wird in der Fachsprache Akrophobie genannt und betrifft rund vier Prozent der Bevölkerung. Höhenangst als spezielle Übersensibilität kann angeboren sein oder wurde durch ein Trauma «erlernt»: Ein Erlebnis mit der Höhe, das einen Angstanfall ausgelöst hat, z. B. ein unglücklicher Sturz. Dabei haben sich verschiedene Stressoren gebündelt: körperliche und geistige Müdigkeit in Kombination mit grosser Höhe. Eine Panikattacke überfällt die betroffene Person. Es geht nicht mehr vorwärts und auch nicht rückwärts. Von nun an sitzt die Angst vor der Angst im Nacken und löst immer wieder neue Panikanfälle aus – ein Teufelskreis hat begonnen. Die Angst überfällt Betroffene nicht nur in einer konkreten Situation mit belastender Höhe. Nein, es kann nur schon beim Drandenken zu Hause auf dem Sofa geschehen, dass sich die Brust zuschnürt, sich ein Knoten im Magen bildet und das Herz zu rasen beginnt.

Höhentraining

Beim Höhentraining auf Brücken, Türmen oder Balkonen sammeln Betroffene kleine Erfolgserlebnisse. Das schrittweise Vorgehen bekräftigt die Angstbetroffenen und hilft ihnen, aus dem Schatten der Angst herauszutreten. Das langsame Antasten an immer grössere Herausforderungen entspricht einer Desensibilisierung, einer aus der Allergiebehandlung bekannten Methode. Dabei wird das Allergen (hier die Höhe) in kleinen, dann immer höheren Dosen verabreicht, damit sich der Körper daran gewöhnt. Dieses langsame Herantasten kommt einer Verhaltenstherapie gleich, bei der Betroffene aktiv angstauslösende Höhen aufsuchen, um ihre Angstsituation zu bewältigen. Dabei spüren sie, dass die auftretenden Symptome nicht lebensbedrohlich sind und von selbst verschwinden. Mit der Höhenangst umzugehen, kann man lernen ­ es ist Kopfsache und Training. Die Betroffenen müssen bereit sein, die panische Angst in eine pragmatische umwandeln zu wollen.

Hilfe aus der Apotheke

Wenn bei Höhenangst die Konfrontation mit der Angst (siehe Höhentraining) nicht zum Ziel führt, dann können Entspannungstechniken, Psychotherapie oder Arzneimittel helfen. Die Apotheke stellt Folgendes bereit:

Homöopathie:

  • Aconitum: Erstes Angst- und Panikmittel
  • Argentum nitricum: Mittel der Wahl beim «Hochhaussyndrom», bei der Angst, von Höhen hinunterzuschauen, wenn die Tiefe anzieht und in den Magen fährt
  • Gelsemium: Bei Erwartungsangst, wenn jemand bereits vor der Höhensituation zittrig, aufgeregt oder wie gelähmt reagiert

Schulmedizinische Angst- und Panikmittel: Meist rezeptpflichtig
Vitalstoffe: Nervenstärkende B-Vitamine, Magnesium, Zink, Kalium
Heilpflanzen: Entspannender Hafer, Passionsblume, Melisse, Baldrian, Rosenwurz, Lavendel, …

Wann ist Schwindel gefährlich?

Ein absoluter Notfall ist der Hirnschlag: Der Patient oder die Patientin empfindet Schwindel mit Gangunsicherheit, der Beginn ist plötzlich und die begleitenden Symptome (Kopfschmerz, Gefühlsstörung, Gesichtslähmung, …) sind meist einseitig.

Kurzfristige Schwindelattacken sowie Schwindel mit bekannten Auslösefaktoren sind meistens ungefährlich. Das können Blutdruckregulationsstörungen (z. B. orthostatische Hypotonie: Schwarzwerden vor den Augen beim schnellen Aufstehen), körperliche Überanstrengung oder ein Hungerast sein. Sich hinsetzen und ausruhen, dazu etwas Salziges und Kohlenhydratreiches essen und trinken, hilft oft weiter. Wenn möglich Blutdruck messen.

Schwindel, der mehrere Stunden oder Tage dauert, sowie kurze Schwindelanfälle, die immer wieder auftreten, sollten ärztlich abgeklärt werden. Das können unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z. B. von Schlafmitteln), Morbus Menière, Lagerungsschwindel oder eine Sonderform der Migräne sein.