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Bauchgefühl: Die unsichtbare Kraft aus dem Innern

Ihr Einfluss auf unser Leben ist grösser, als manche denken. Gedanken, Gefühle und die Intuition prägen den Menschen und können vieles in Bewegung bringen, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Fabrice Müller

Mit dem linken Fuss zuerst aus dem Bett steigen, unter einer Leiter durchgehen oder einer schwarzen Katze begegnen bringen Unglück. Festes Daumendrücken oder intensives Beschwören bringen der Lieblingsmannschaft den Sieg oder den ersehnten Lottojackpot. Diese und ähnliche Ereignisse mit ihren Folgen entspringen dem sogenannten magischen Denken des Menschen.Magisches Denken ist weiter verbreitet, als vermutet. Dies zeigt eine Studie der Princeton und Harvard Universität in den USA zum Thema «Magische Kraft im Alltag». Die Studie geht davon aus, dass magisches Denken aufkommt, wenn Menschen annehmen, dass sie selbst Geschehnisse mittels ihrer Gedanken beeinflussen können. Doch funktioniert das wirklich?

Verantwortung für die Gedanken tragen

Der Autor Martin Schott veröffentlichte ein Buch zum Thema «Die geheimnisvolle Macht der Gedanken». Geht es nach ihm, besitzen Gedanken dahingehend eine Kraft, dass sie allem, was Menschen schaffen, vorangehen. Kein Haus, kein Musikstück, kein Geschäftsabschluss ist möglich ohne vorhergehende Gedanken, ebenso wenig Betrug und andere Verbrechen. Geheimnisvoll sei diese Macht der Gedanken lediglich deshalb, weil sich die meisten Menschen nicht klar darüber seien, was die Ideen im Kopf bewirken.

Glaubenssätze geben Halt und Sicherheit

In der Psychologie ist die Macht der Gedanken unbestritten. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Wirkung unseres Denkens auf unseren Körper. Der Physiker und Psychologe Günter Haffelder vom Institut für Kommunikation und Hirnforschung in Stuttgart beispielsweise hat mithilfe der Positronen-Emissions-Tomografie Tests durchgeführt. Die Untersuchung verlief wie folgt: Ein Schüler wurde gebeten, sich an das Gerät anschliessen zu lassen. Dann wurden zwei Lehrern, die den Schüler nicht kannten, unterschiedliche Informationen gegeben. Dem einen Lehrer wurde vermittelt, dass der Schüler nur wenig begabt sei und die gestellte Aufgabe mit Sicherheit nicht werde lösen können. Dem anderen Lehrer sagte man das Gegenteil, sprich, der Schüler sei hochintelligent. Das Resultat der Studie war erstaunlich – oder auch nicht: In dem Moment, in dem der ungünstig eingestimmte Lehrer den Raum betrat, entstand im Kopf des Schülers eine Blockade, die das Kind tatsächlich völlig ausserstande setzte, die Aufgabe zu lösen.

Auseinandersetzung mit der Intuition

Eng mit der Gedankenwelt verbunden ist auch die Intuition. Immer mehr Menschen vertrauen auf ihr Bauchgefühl und lassen sich bei wichtigen Entscheidungen intuitiv leiten. Thomas Brandenberger, Psychologe, Managementcoach und zusammen mit Peter Müri Autor des Buches «In die Intuition eintauchen», glaubt, dass die Menschen inzwischen wieder offener sind für eine Auseinandersetzung mit ihrer Intuition. Jedoch: «Da unsere Gesellschaft Intuition als Entscheidungshilfe meist nur im Privatleben akzeptiert, erscheint sie nicht in einem Lehrplan der öffentlichen Schulen. Bildung, Beruf, Gesellschaft und vor allem einige Wissenschaften sorgen dafür, dass Bauchentscheidungen als suspekt abgewertet und vermieden werden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass unsere Intuitionsbegabung heute in der Regel verkümmert ist.» Dass sie trotzdem Beachtung findet, wenn auch nicht offiziell, zeigt zum Beispiel die Befragung von Jagdish Parikh, Experte und Buchautor zum Thema Selbstmanagement sowie Mitbegründer der World Business Academy (USA). In der Umfrage gaben achtzig Prozent von 1312 führenden Managern aus neun Ländern an, dass sie ihre Intuition einsetzen und glauben, dies würde zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Über siebzig Prozent zeigten sich zudem davon überzeugt, dass die Intuition für Forschungs- und Entwicklungsbemühungen wichtig sei. Die Arbeit mit dem Bauchgefühl ist allerdings nicht neu: Im abendländischen Denken galt die Intuition einst als sicherste Form der Alltagserkenntnis.

Nichts mit Logik zu tun

Doch was genau ist Intuition? Und wie funktioniert sie? Im Lateinischen wird die Intuition (intuitio, intuere) mit «genau hinsehen» umschrieben. Wesentliche Aspekte der Intuition sind zum einen die Begabung, auf Anhieb eine gute Entscheidung zu treffen, ohne die zugrunde liegenden Zusammenhänge explizit zu verstehen. Zum andern ist es die Fähigkeit, Eigenschaften und Emotionen eines Menschen in Sekundenbruchteilen komplex zu erfassen. Intuition gilt daher als Fähigkeit zur Informationsverarbeitung und zur angemessenen Reaktion bei grosser Komplexität der zu verarbeitenden Daten. «Pure Vernunft wird niemals siegen», sagt Gerald Traufetter in seinem Buch «Intuition, die Weisheit der Gefühle». Ein Grossteil des geistigen Lebens der Menschen spielt sich gemäss Gerald Traufetter im Unbewussten ab und beruht auf Prozessen, die nichts mit Logik zu tun haben. Intuition wird gerne auch als unbewusste Intelligenz bezeichnet. Dabei sind uns die genauen und tieferen Gründe nicht ganz bewusst, wie Thomas Brandenberger erklärt. «Bauchgefühle basieren auf überraschend wenigen Informationen. Im Gegensatz dazu ist die Informationsbeschaffung für rationale Entscheide vielfach ein zeitintensiver Prozess.»

Welche Rolle spielen Spiegelneuronen?

Für den britischen Autoren und Biologen Rupert Sheldrake gehört die Fähigkeit, Vorahnungen in sich wahrzunehmen, zum natürlichen Leben – ebenso die bisweilen als unerklärlich geltenden Fähigkeiten wie Telepathie oder Hellsehen. «Wissenschaftlich wurden diese wichtigen menschlichen Fähigkeiten lange Zeit tabuisiert und in die sogenannte Parapsychologie abgeschoben», berichtet der Psychotherapeut und Wissenschaftler Theodor Itten aus St. Gallen. In der Psychotherapie arbeitet Theodor Itten bewusst mit der eigenen Intuition: «Während der Konsultation spüre ich zum Beispiel, wie eine spezifische Frage an die Patienten in mir aufsteigt. Viele Psychologinnen und Psychologen kennen diese Erfahrung, wie meine Umfrage im Kollegenkreis bestätigte», schildert Theodor Itten. Neben der Psychologie haben sich auch die Neurowissenschaften der Intuition angenommen. Diese kann durch moderne, bildgebende Verfahren im Gehirn sichtbar gemacht werden. Zwei Forscher der Universität Parma entdeckten sogenannte «Spiegelneuronen». Diese Nervenzellen sollen, so ihre Annahme, die Bewegung und seelische Berührung von Menschen spiegeln.