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Augengesundheit: Wenn das Auge unter Druck gerät

Wer auch in späteren Jahren noch lesen, Auto fahren und am Computer arbeiten will, sollte seine Augen regelmässig kontrollieren lassen. Denn ein Glaukom bemerkt man erst, wenn es schon fast zu spät ist.

Eine Augendruckmessung gehört zu den empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen ab dem vierzigsten Lebensjahr. Wieso?
Prof. Dr. med. Jörg Stürmer*: Wenn der Druck im Auge ansteigt, können der Sehnerv und die Netzhaut Schaden nehmen. Es kommt zu einem sogenannten Glaukom – im Volksmund auch grüner Star genannt.

Spüren Betroffene etwas davon?
Nein, praktisch nichts. Es handelt sich um einen fortschreitenden Prozess, bei dem das Gesichtsfeld zunehmend eingeschränkt wird. Doch das Gehirn vermag die entstehenden Lücken anfangs noch zu kompensieren. Bis sich die ersten Symptome bemerkbar machen, ist der Sehnerv meist schon unwiderruflich geschädigt. Man kann den Vorgang nur noch stoppen, aber nicht mehr rückgängig machen.


Kann man an einem Glaukom erblinden?
In der westlichen Welt kommt es heutzutage zum Glück nur noch selten so weit. Doch wenn man zu spät etwas unternimmt, kann der hohe Druck im Augapfel zu einer starken Einschränkung des Gesichtsfeldes führen. Das schränkt die Lebensqualität ein. Zum Beispiel darf man dann nicht mehr Auto fahren. In ärmeren Ländern ist der grüne Star auch heute noch eine der häufigsten Ursachen für Erblindung. Noch häufiger ist der graue Star: Eine Trübung der Linse, die man eigentlich gut operieren kann.

Wie kommt es zu erhöhtem Augeninnendruck? Hat das etwas mit einem hohen Blutdruck zu tun?
Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Man kennt die Ursachen nicht genau. Es gibt einige Risikofaktoren und wahrscheinlich eine genetische Veranlagung.

Handelt es sich um einen Stau der Tränenflüssigkeit?
Nein. Die Tränenflüssigkeit benetzt die Hornhaut von aussen und hält sie geschmeidig. Wenn zu wenig davon vorhanden oder die Zusammensetzung nicht optimal ist, ist das sehr unangenehm. Viele ältere Menschen leiden unter trockenen Augen. Beim Glaukom dagegen stammt der Druck vom Kammerwasser im Augapfel.

Wieso steigt der Druck an?
Weil der Abfluss des Kammerwassers gestört ist. Diese Flüssigkeit entsteht im Ziliarkörper, einer hinter der Iris gelegenen ringförmigen Struktur, und fliesst über das siebartige Trabekelwerk an der Vorderseite der Iris wieder ab. Normalerweise sind Produktion und Abfluss so eingestellt, dass der Druck stabil und ungefährlich ist.

Führt ein erhöhter Augeninnendruck immer zu einer Schädigung des Sehnervs?
Nein, das ist nicht zwingend. Und umgekehrt kann der Sehnerv auch Schaden nehmen, obwohl der Augeninnendruck im normalen Bereich liegt. Um diese Art von Glaukom zu entdecken, bedarf es spezieller Untersuchungen.

Es gibt aber auch Menschen, bei denen sich ein Glaukom in kürzester Zeit entwickelt?
Ja, aber das ist selten. Der sogenannte Glaukomanfall geht mit plötzlich auftretenden Kopfschmerzen und Übelkeit einher. Er muss notfallmässig behandelt werden.

Was für Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Bei einem beginnenden Glaukom helfen meist Augentropfen. Diese Medikamente werden immer besser. Die enthaltenen Wirkstoffe setzen je nach Ursache an verschiedenen Stellen an: Entweder vermindern sie die Produktion des Kammerwassers oder sie verbessern die Durchlässigkeit des Trabekelwerkes, um den Abfluss zu optimieren. Vermögen Augentropfen das Problem nicht zu entschärfen, stehen Laserbehandlungen oder eine Operation zur Auswahl.

An den Augen sind die meisten Menschen sehr empfindlich. Vielleicht fürchten deshalb viele die Untersuchung?
Die Augendruckmessung dauert nur wenige Sekunden und ist komplett schmerzfrei, denn der Augenarzt betäubt die Hornhaut zuvor mit Augentropfen. Dann misst er den Augeninnendruck mit einem speziellen Gerät – dem sogenannten Tonometer – durch leichtes Flachdrücken der Hornhaut.

Kann man das auch beim Optiker machen lassen?
Optiker dürfen die Augen nicht berühren. Sie können eine Messung per Luftstrahl durchführen, die aber unangenehm ist und auch etwas ungenauer. In der Regel fällt das Resultat aber eher zu hoch aus als zu tief. Optiker überweisen ihre Kunden dann zum Augenarzt, der eine genaue Abklärung durchführen kann. Das Problem ist heutzutage, dass viele Menschen gar nicht mehr zum Optiker oder Augenarzt gehen. Wenn die Sehkraft nachlässt, kaufen sie sich eine Lesebrille im Supermarkt. So bleiben viele Glaukomerkrankungen lange unentdeckt.

Wie häufig muss die Kontrolle durchgeführt werden?
Das kommt ganz darauf an. Wenn der Druck bei der ersten Messung normal ist, genügt eine Kontrolle nach drei bis fünf Jahren. Ist er grenzwertig, sollte man die Untersuchung bereits nach einem bis zwei Jahren wiederholen.

Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?
Ja, die meisten Krankenkassen kommen für die erste Untersuchung beim Augenarzt auf – bis auf einen Selbstbehalt von zehn Prozent sowie die jährliche Franchise. Eine Erstkontrolle sollte nicht mehr als 150 Franken kosten, es sei denn, es müssen noch zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden.

Wie lange ist bereits bekannt, dass erhöhter Augeninnendruck zu Sehschäden führen kann?
Wahrscheinlich schon seit der Antike. Grössere Fortschritte hat die Augenheilkunde aber vor rund 150 Jahren gemacht. Ein wichtiger Pionier war Albrecht von Graefe. Der Berliner Arzt entwickelte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Operationstechnik für den grünen Star. Er soll über 10 000 Augenoperationen durchgeführt haben – auch bei grauem Star, Schielen und anderen Augenleiden. Zudem gründete er die erste augenärztliche Fachzeitschrift und erkannte diverse Zusammenhänge zwischen Augen- und anderen Krankheiten wie etwa Diabetes mellitus oder Nierenleiden. Er selbst wurde aber nicht alt: Bereits mit 42 Jahren verstarb er an Lungentuberkulose.

*Prof. Dr. med. Jörg Stürmer ist Direktor und Chefarzt der Augenklinik am Kantonsspital Winterthur.