Darmgesundheit

Der Magen-Darm-Spezialist hilft weiter
Haben die Ratschläge Ihrer Apothekerin und der Besuch beim Hausarzt nicht genug geholfen? Werden Sie weiterhin von Magen-Darm-Beschwerden geplagt? Oder haben Sie eine Einladung zur Darmkrebsvorsorge erhalten? Dann steht der Gang zum Spezialisten an. Willkommen in der Gastroenterologie-Praxis.
Isabelle Hulmann, Apothekerin
Dr. Balsiger, was sind die Haupttätigkeitsbereiche eines Magen-Darm-Spezialisten?
PD Dr. med. Bruno Balsiger*: Da ich sowohl in einer Praxis als auch im Spital tätig bin, sehe ich jeden Tag, wie breitgefächert und vielfältig die Aufgaben der Gastroenterologen sind. Im Spital geht es meist um Notfalleingriffe wie Blutstillungen oder auch um hochkomplexe Interventionen. In der Praxis geht es sehr oft darum, die durch Verdauungsprobleme beeinträchtigte Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Es sind Fälle, bei denen der Hausarzt oft schon Verschiedenes versucht hat. Bei diesen Patienten ist es sehr wichtig, dass wir eine gravierende Ursache ausschliessen können wie zum Beispiel eine Entzündung, ein Magengeschwür, einen Darmtumor, Divertikel etc. Solche Erkrankungen müssen wir dann gezielt behandeln.
Welche Verdauungsprobleme bringen die Patienten zu Ihnen?
Alle möglichen! Die meisten Patienten beklagen sich schon länger und immer wieder über Magenbrennen, Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe, extreme Blähungen, Durchfälle oder massive Verstopfungen, sodass ihr Alltag gestört ist. Der Gedanke an «etwas Schlimmeres» kommt unausweichlich. Es gilt, diese Unsicherheit zu klären und ihnen mit Ratschlägen und/oder Arzneimitteln zu helfen, was dank unserer Erfahrung sehr oft gelingt.
Der Gastroenterologe spielt auch eine wichtige Rolle in der Prävention, oder?
Genau. Die Darmkrebsvorsorge ist in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Wir wissen, dass Darmkrebs relativ häufig ist. Die Darmspiegelung ist eine effiziente Untersuchung, die uns erlaubt, die Vorläufer von Darmkrebs, die sogenannten Polypen, zu entdecken und zu entfernen. Allen Leuten ab fünfzig Jahren, auch wenn sie gar keine Beschwerden haben, ist es empfohlen, eine Darmkrebsvorsorge zu machen. Es ist schockierend, aber ich sehe ab und zu relativ junge Leute mit fortgeschrittenem Darmkrebs. Leider nimmt die Häufigkeit von Darmkrebs bei Personen unter fünfzig Jahren zu. Dementsprechend haben gewisse Länder beschlossen, ihre Vorsorgeprogramme früher zu starten, nämlich ab fünfundvierzig Jahren. Ich möchte die Leser und Leserinnen ermutigen, eine Vorsorgeuntersuchung zu machen.
Die Darmspiegelung – oder Koloskopie in der Fachsprache – ist aber nicht die Untersuchung mit dem besten Ruf. Können Sie dazu etwas sagen?
Horrorgeschichten gehören definitiv der Vergangenheit an. Die Untersuchung ist heute absolut schmerzfrei, die Privatsphäre wird gewahrt und wir machen in unserer Praxis alles, damit der Check möglichst angenehm wird. Eine Patientin, die aufgrund ihrer Krankengeschichte alle drei bis vier Jahre eine Koloskopie braucht, sagte mir einmal: «Für mich ist diese Untersuchung wie ein Wellnesstag.» Vielleicht wird es nicht für jede oder jeden gerade zum Wellnesserlebnis, aber es hat für die meisten nichts Unangenehmes mehr. Die vorgängige Darmreinigung mittels Abführmittel ist oft die grösste Hürde. Die Patientenrückmeldungen sind bei uns auf jeden Fall sehr gut und so soll es auch sein, damit möglichst viele bei dem Vorsorgeprogramm mitmachen.
Kommen wir zum Trendthema «Darmflora». Was meinen Sie dazu?
Das Darmmikrobiom ist in der Tat sehr wichtig, egal ob wir von der Gesundheit oder der Krankheit des Darmes sprechen. Aber wir sind erst am Anfang seiner «Erforschung». Wir wissen noch sehr wenig über die möglichen Interaktionen zwischen Mikrobiom und Mensch. Zur Veranschaulichung möchte ich folgende Zahlen anführen: Es gibt etwa hunderttausend Milliarden Bakterien in unserem Darm, unterteilt in etwa tausend verschiedene Arten. Interessant ist auch, dass nur etwa zehn Prozent unserer Zellen in unserem Körper menschliche Zellen sind, der Rest sind einzellige Bakterien! Unsere eigenen Zellen sind also diesen Bakterien gegenüber in der «Minderzahl» und wir sollten ein gutes Verhältnis zu ihnen pflegen, aber wir wissen eigentlich noch nicht so genau wie.
Wenn wir das Thema Ernährung anschauen, können Sie als Gastroenterologe auch etwas zu Krankheiten und Syndromen sagen, die damit verbunden sind?
Es ist tatsächlich so, dass die Thematik der Lebensmittelunverträglichkeiten immer wichtiger wird. Zum Teil spielen sie bei sogenannten funktionellen Magen-Darm-Beschwerden eine Rolle. Wenn die Symptome, die ich anfangs erwähnt habe, d. h. Blähungen, Durchfälle, Krämpfe usw., vorliegen und wir keine organische Ursache entdecken können, dann müssen wir, also Arzt und Patient, uns in Geduld üben. Mit verschiedenen Anpassungen der Ernährung und des Lebensstils können wir Schritt für Schritt die Symptome verbessern. Aber es braucht Zeit, eine Massnahme kann manchmal erst nach sechs bis acht Wochen evaluiert werden. Die Patienten finden zum Teil selbst heraus, was ihnen guttut oder nicht. Manchmal ist der Beizug einer Ernährungsberaterin hilfreich. Es geht zum Beispiel um die Proteinmenge in der Nahrung, um Fasern, um FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole, also bestimmte vergärbare Zucker und Alkohole) oder wir versuchen es mit Probiotika oder Huminsäuren. Diese Herangehensweise zeigt oft Erfolg: Bei etwa sechzig Prozent der Patienten mit Verdauungsproblemen lässt sich die Situation verbessern. Die Diagnose Reizdarmsyndrom ist für mich keine Endstation, sondern spornt an, alle Aspekte in Betracht zu ziehen. Es geht zwar manchmal auch um Psychosomatik, aber der Schluss, das Problem sei «psychisch», wenn man in allen Untersuchungen «nichts» gefunden hat, darf nicht gezogen werden.
Das Nervensystem der Darmwand – man spricht auch von Bauchhirn oder Darmhirn – ist hochkomplex und manchmal «falsch» eingestellt, wie ein verstellter Thermostat. So «spürt» der Darm manchmal Sachen, auf die er gar nicht reagieren sollte und löst dann Beschwerden aus. Dieses Darmnervensystem ist schwierig zu beeinflussen. Verschiedene Arzneimittel, auch Psychopharmaka, können manchmal hilfreich sein, da sie zum Teil die gleichen Botenstoffe beeinflussen, welche sowohl im Darm wie auch im Gehirn am Werk sind.
* Der Magen-Darm-Spezialist PD Dr. med. Bruno Balsiger ist Mitinhaber einer Praxis für Gastroenterologie in Bern, tätig in Spitälern in Bern und Fribourg und Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie.