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Mit Kindern in die Ferne reisen

Verlockende Angebote für Fernreisen lassen Eltern den Entschluss fassen, mit ihren noch kleinen Kindern auf Reisen zu gehen. Dr. med. Bernhard Beck, Facharzt Tropen- und Reisemedizin, Allgemeine Innere Medizin in Zürich weiss, was es zu beachten gilt.

Herr Doktor Beck, sollten Eltern nicht besser auf lange Flugreisen verzichten, bis ihr Kind ein bestimmtes Alter erreicht hat?
Dr. med. Bernhard Beck:
Im Grundsatz bin ich der Ansicht, dass für ein Kind bis zum Alter von sechs bis acht Jahren die Feriendestination überhaupt keine Rolle spielt. Für sein Wohlbefinden entscheidend ist, dass es bei seinen Eltern sein kann, sich gut aufgehoben und glücklich fühlt und richtig beschäftigt wird. Lange Flugzeiten sind für den kindlichen Organismus eine Belastung. Das Problem ist von den Eltern zu lösen: Sie müssen entscheiden, ob sie ihr Kind einer solchen Flugreise aussetzen wollen.

Inwiefern sind längere Flugreisen für ein Kind belastend?
Zunächst denke ich an die räumliche Beengung, das Eingezwängtsein in einem Sitz. Die physikalischen Verhältnisse im Flieger sind garstig. Unangenehm ist vor allem die extrem trockene Luft, die zusammentrifft mit einem beim Kind abgewinkelten Verbindungsweg vom Rachen bis zum Mittelohr. Diese Situation führt insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren zu einem schlechten Druckausgleich und folglich zu Ohrenschmerzen beim Start und bei der Landung der Maschine. Oft, hauptsächlich im Winter, haben die Kinder einen Schnupfen und eine verstopfte Nase, was das Schmerzempfinden beim Fliegen erhöht.

Sind klimatische Verhältnisse wie etwa grosse Hitze eine Gefährdung fürs Kind?
Kinder sind sehr anpassungsfähig. Was nicht heisst, dass man mit ihnen irgendwelche Expeditionen machen sollte. Das wäre grenzwertig und das braucht ein Kind nicht. Ein Kleinkind hat übrigens lediglich einen Beziehungsradius von etwa zwanzig bis fünfzig Metern, erst in seiner späteren Entwicklung kann es in einem weiteren Umfeld Eindrücke aufnehmen.

Und wie steht es um die Ernährungssituation?
Ein Kind, das älter ist als ein Jahr, kann so ziemlich alles essen. Da geht es in erster Linie um die Nahrungsmittelhygiene, die zu beachten ist.

Bringen viele Eltern ihr Kind nach der Rückkehr von einer Fernreise zu Ihnen in die Praxis, weil es an Brechdurchfall leidet?
Das kommt eher selten vor, denn bei Kindern treten derartige Erkrankungen meist heftig und explosionsartig auf, um aber auch schnell wieder abzuklingen. Wichtig ist, dass die Eltern sofort dafür sorgen, dass das Kind nicht unter Dehydrierung leidet, sondern genügend Flüssigkeit zu sich nimmt. Besorgniserregend sind nach der Rückkehr fieberhafte Infekte, die durch Stechmücken übertagen worden sind. Ferner gibt es zwei Typen von Verletzungen, die wir Reisemediziner nicht gerne sehen: Durch Tiere hervorgerufene Verletzungen und solche, die im Meer durch Erreger verursacht wurden, die schwierig zu beherrschen sind.

Man hört immer wieder von bestimmen Quallenarten, die auch bei Erwachsenen heftige Verletzungen verursachen sollen.
Quallen können tatsächlich Verletzungen hervorrufen, da geht es dann aber zusätzlich um die Einwirkung von Gift. Häufiger noch sind Verletzungen, die beim Kontakt mit Korallenriffen entstehen können. Durch Kratzer in der Haut können Erreger aus dem Meer in den Körper eindringen, die nicht leicht zu erkennen sind und eine spezielle Behandlung beanspruchen. Wenn Kinder in Bodennähe und im Sand spielen, können Würmer in die Haut gelangen, sich dort ansiedeln und eine Hauterkrankung hervorrufen. Treten erst einige Tage nach der Rückkehr Bauchschmerzen und Durchfall auf, sind oft amöbenartige Parasiten die Verursacher. Kurz: Reisen mit Kindern in ferne Länder sind mit einer erhöhten Gefährdung verbunden und verlangen deshalb von den Eltern besondere Aufmerksamkeit. Und falls etwas passiert, muss man umsichtig handeln und nicht einfach denken, irgendwie werde schon alles wieder in Ordnung kommen.

Informieren sich Eltern in ausreichendem Masse beim Reisemediziner oder beim Auskunftsdienst des Tropeninstituts?
Unterschiedlich, es kommt auf die Destination an. Geht es um eine Region, in der Malaria oder Gelbfieber auftritt, müssen und werden sie sich informieren. Ist beispielsweise eine Reise nach Thailand oder im Raum Karibik, etwa in die Dominikanische Republik, geplant – also in Regionen ohne besondere Vorschriften – dann verhalten sie sich relativ «blauäugig» und bemühen sich nicht um spezielle Informationen. Allenfalls wenden sie sich an den Kinderarzt, der eine wichtige Beraterfunktion einnimmt.

Würden Sie Eltern von bestimmten Destinationen abraten?
Ja, ganz gewiss von Ländern, in denen potenziell lebensgefährliche Krankheiten vorkommen. In erster Line sind hier Destinationen zu erwähnen, in denen Malaria auftritt.

Soll ein Kind dem Reiseziel angepasste Schutzimpfungen bekommen?
Da die Eltern entscheiden, welcher Gefährdung sie ihr Kind aussetzen wollen, müssen sie auch für den jeweils am besten geeigneten Schutz des Kindes sorgen. Beim Kleinkind sind spezielle Reiseimpfungen nicht einfach durchzuführen. Die in der Schweiz ohnehin üblichen Impfungen haben diese Kinder aber oft schon erhalten und sind dahingehend bereits gut geschützt. Allgemein gilt: Mit einem vier Wochen alten Kind sollen Eltern überhaupt nicht reisen, mit Kindern im Säuglingsalter bis zum ersten Lebensjahr ist Zurückhaltung angebracht. Hat ein Kind das Laufen gelernt und ein Alter von einem oder zwei Jahren erreicht, ist das kindliche Immunsystem in der Lage, mit der Impfung umzugehen. Übrigens gibt es Impfungen, die bei einem Kind eher angezeigt sind als bei einem Erwachsenen und umgekehrt. Eine Tollwutimpfung zum Beispiel empfiehlt die Reisemedizin eher bei einem Kind als beim Erwachsenen, weil Kinder ausgesprochen gerne nach Tieren greifen.

Was möchten Sie abschliessend allen Reisefreudigen nach einer Fernreise dringend nahelegen?
Ich möchte vor allem vermitteln, dass Eltern mit ihren Kindern – und ebenso alle Erwachsenen – auch dann den Arzt aufsuchen sollten, wenn erst vier Wochen nach der Rückkehr Krankheitssymptome auftreten. Der Hausarzt oder der Kinderarzt wird feststellen, ob die Erkrankung mit der Reise in Verbindung steht und somit ein Reisemediziner beigezogen werden muss. Bei diesem Vorgehen handelt es sich nicht etwa um eine Aufblähung des medizinischen Aufwandes, manchmal führt schon eine einfache Abklärung zur raschen und sicheren Diagnose.