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Schonen und fordern Sie Ihre Muskeln richtig!

Muskelverletzungen sind schmerzhaft und oftmals unterschätzt. Der Physiotherapeut Urs Baumann von RückGrat in Therwil erklärt, wie Sie Fehlbelastungen der Muskeln vorbeugen können. Aber auch, wann es den Gang zum Spezialisten braucht.

Annegret Czernotta

Muskelverletzungen sind vielfältig. Wie lassen sich Muskelkater, Muskelverspannung oder ein Muskelfaserriss voneinander abgrenzen?
Urs Baumann*: Das ist aufgrund der Symptome und der Dauer der Beschwerden möglich, die sich gut voneinander unterscheiden lassen. Bei grösseren Muskelverletzungen werden allerdings zusätzlich bildgebende Untersuchungsverfahren wie ein Ultraschall, ein Computertomogramm oder eine Magnetresonanztomografie zur klaren Differenzierung benötigt.

Wann sollte man mit der Selbstbehandlung aufhören und zum Arzt oder Physiotherapeuten gehen?
Verspannungen sowie auch ein Muskelkater lassen sich in den meisten Fällen mit einfachen Anwendungen selber behandeln. Liegen dauernde Verspannungen oder ein Muskelkater über mehrere Tage oder sogar Wochen vor, ohne dass eine Besserung der Beschwerden eintrifft, ist eine beratende Auskunft oder eine unterstützende Behandlung durch den Kontakt mit einem Physiotherapeuten oder Arzt angezeigt. Bei einem Muskelfaserriss oder einer Zerrung ist der Gang zum Arzt für die gezielte Erstbehandlung und die genaue Diagnosestellung dringend notwendig! Der weitere Verlauf der Rehabilitation wird dann mit dem Physiotherapeuten geplant und durchgeführt.

Welche Sportarten führen besonders häufig zu Muskelverletzungen oder Muskelbeschwerden und wie kann man dem vorbeugen?
Muskelverletzungen treten mehrheitlich bei hoher Muskelbelastung, bei plötzlichem Abbremsen und rascher Beschleunigung («Stop and Go») sowie im Kontaktsport auf. Dazu zählen Fussball, Handball, Hockey und Leichtathletik, also die klassischen Sprint-, Sprung- und Ballsportarten. Muskelverspannungen zeigen sich vor allem dann , wenn die Muskulatur über längere Zeit in der gleichen Position und unter erhöhter Belastung beansprucht wird. Dies ist meist dann der Fall, wenn es um Ausdauer geht, wie beim Triathlon oder Marathonlauf. Vorbeugen kann man durch sportspezifisches Aufwärmen, Stretching, genügende Versorgung der Muskulatur mit Flüssigkeit und Elektrolyten vor, während und nach der Belastung und durch Einhaltung der nötigen Regenerationszeit zwischen den Aktivitäten.

Ist denn beispielsweise ein Muskelkater ein schlechtes Zeichen?
Beim Muskelkater kommt es zu einer Schädigung der Muskulatur im mikroskopischen Bereich. Er ist somit als Verletzung und als Warnzeichen zu betrachten. Andererseits kann der Muskelkater aufzeigen, bei welcher Belastung die Muskulatur zu wenig oder falsch trainiert wurde. Mit dieser Information kann man das Training gezielt anpassen. Der Muskelkater muss auf jeden Fall vor der nächsten Belastung derselben Muskelpartie ausgeheilt sein.

Wie behandeln Sie akute oder chronische Muskelschmerzen in der Sportphysiotherapie?
Akute Muskelschmerzen werden primär beschwerdeabhängig mit Sofortmassnahmen wie Entlastung, Kompression, Kühlen, Dehnen etc. behandelt. Chronische Muskelschmerzen werden ursächlich behandelt, das heisst wir schauen, wie diese entstehen (durch Fehlbelastungen, Überbelastungen, muskuläre Dysbalance, mangelnden Stoffwechsel usw.) und behandeln diese gezielt.

Viele Sportler leiden unter Muskelkrämpfen. Was soll man dann machen und wie lassen sich solche Schmerzen behandeln?
Da Muskelkrämpfe meistens aufgrund eines hohen Elektrolytverlusts durch starkes Schwitzen ausgelöst werden, ist es wichtig, stets auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Mineralstoffzufuhr zu achten. Ein gezieltes Aufwärmen vor der Belastung wie ein konsequentes «Cooling Down» mit Stretching nach der Belastung gehört ebenso zu den vorbeugenden Massnahmen.
Gerade bei Läufern können aber auch andere Ursachen hinter Krämpfen stecken. So entstehen Krämpfe im Unterschenkelbereich oft durch Fehlbelastungen aufgrund instabiler Gelenk- und Muskelketten (muskuläre Dysbalance) oder aufgrund von Durchblutungsstörungen. Diese Beschwerden können dann mittels gezielten physiotherapeutischen Massnahmen und koordinativem Aufbautraining behoben werden.

Hat es Unterschiede in der Empfindlichkeit der Muskulatur bei jungen oder älteren Sportlern?
Durch die Abnahme von elastischem Gewebe und den verminderten und verlangsamten Stoffwechsel nimmt die Beweglichkeit und Belastbarkeit der Muskulatur von älteren Sportlern im Vergleich zu jüngeren Sportlern ab. Man wird zunehmend steifer und die Muskulatur reagiert auf erhöhte Belastung empfindlicher. Aus diesem Grund ist es erst recht wichtig, dass man sich im Alter viel bewegt und die Muskulatur funktionsbezogen trainiert. Zudem braucht es auch im Alter eine optimale Vorbereitung durch Aufwärmen und genügend Flüssigkeit.

Sind Aufwärmen und Dehnen denn auch bei hohen Aussentemperaturen notwendig?
Ja, denn für eine optimale Vorbereitung aller Strukturen braucht unser Körper einen erhöhten Stoffwechsel, der auch für die funktionelle Beweglichkeit und Belastbarkeit der Muskulatur benötigt wird. Und das erreichen wir nur über Bewegung. Hohe Aussentemperaturen alleine reichen dann nicht. Das Aufwärmen der Muskulatur – egal, ob bei tiefen oder hohen Aussentemperaturen – sollte im Minimum rund zehn Minuten dauern!

Wie sieht es mit der Ernährung aus? Sind Proteinshakes eine gute Unterstützung, wenn man Muskeln aufbauen möchte?
Grundsätzlich braucht man Eiweisse (Proteine) für den Muskelaufbau. Ob Proteinshakes das Richtige sind und darüber, ob man diese vor, während oder nach dem Training einnehmen soll, streiten sich die Experten. Wichtig ist, dass der Proteinhaushalt genügend aufgefüllt ist. Und das kann man durch eine ausgewogene Ernährung und durch die natürliche Zufuhr von hochwertigen Proteinen ebenfalls erreichen. Ein hoher Eiweissgehalt findet sich beispielsweise in Fisch, Geflügel, Milch, Joghurt, Hüttenkäse, Eier, Hartkäse, Soja, Hülsenfrüchten, Nüssen, Steinfrüchten.

Wie sieht es mit der Flüssigkeitsaufnahme aus?
Der durchschnittliche Flüssigkeitsbedarf bei erwachsen Personen beträgt etwa eineinhalb Liter pro Tag. Bei zusätzlichen sportlichen Belastungen kann sich dieser Bedarf schnell einmal verdoppeln. Starkes Schwitzen erhöht zudem den Elektrolytverlust. Darum genügend trinken! Dies kann Wasser oder verdünnter Fruchtsaft, angereichert mit Elektrolyten, sein.

Was dem Muskel passieren kann
Verspannungen entstehen aufgrund von Fehl- und Überbelastung. Die punktgrossen oder flächigen Verhärtungen sind häufig mit den Fingern zu ertasten. Entspannend wirken Einreibungen, Massage, Wärme (Wickel) oder gezieltes Dehnen.
Beim Muskelkater kommt es nach ungewohnter oder übertriebener Alltags- oder Sportaktivität zu Mikroverletzungen im kleinsten Bereich der Muskelfasern, die in der Regel ohne Folgen nach vier bis fünf Tagen ausheilen. Leichtes Ausdauertraining im schmerzfreien Bereich oder lokale, sanfte Massagen nach der akuten Phase können den Heilungsverlauf unterstützen.
Beim Muskelfaserriss werden meist durch Schnellkraftbeanspruchungen einzelne oder mehrere Muskelfasern verletzt. Die Schmerzen treten plötzlich und messerstichartig auf und können drei bis sechs Wochen bestehen bleiben. Die Behandlung sollte unverzüglich beginnen. Gezielte physiotherapeutische Massnahmen unterstützen die Genesung und führen zur erforderlichen Belastbarkeit innerhalb von zehn bis zwölf Wochen

*Urs Baumann, Physiotherapeut bei RückGrat, Physiotherapie und medizinisches Trainingszentrum, Therwil und bei RückGrat Physiotherapie Münchenstein (rueckgrat-physio.ch).