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Wie gefährlich sind Insektenstiche?

Zu Insektenstichen kommt es besonders häufig im Sommer und auf dem Land, wenn viele Wespen und Mücken in der Luft sind. Normalerweise bleiben sie zum Glück ohne schwere Folgen, manchmal können sie aber auch lebensbedrohlich werden.

Menschen werden vor allem aus zwei Gründen von Insekten gebissen oder gestochen: um Blut zu zapfen und sich dadurch zu ernähren oder um sich selbst zu verteidigen. Mit Beginn des Frühlings und vor allem im Sommer umgibt uns eine Vielzahl von Insekten und mit ihnen auch alles, was sie uns lästig macht – unter anderem ihre Stiche. Wir haben uns zu diesem Thema mit Dr. Pierre Gumowski unterhalten, Allergologe am INRAAIC, Hôpital de la Tour (GE).

Welche Reaktionen kann ein Insektenstich hervorrufen?

Dr. Pierre Gumowski*: Insektenstiche verursachen am häufigsten toxische Hautreaktionen, weil das Gift Substanzen enthält, die innerhalb von dreissig Minuten eine lokale Entzündung hervorrufen: Ein Ödem (Schwellung) mit Rötung und Juckreiz, das aber meist rasch wieder zurückgeht. Bei mehreren Stichen kann es zu einer sogenannten generalisierten toxischen Reaktion kommen, die sich durch Verdauungsbeschwerden, neurologische Symptome (Kopfschmerzen, Krämpfe, Koma), Fieber oder einen Ausbruch von Nesselfieber zeigt. Wer derart reagiert, muss im Krankenhaus behandelt werden. Auch eine allergische Reaktion kann auftreten; im schwersten Stadium kann sie zu Atemproblemen, Schluckschwierigkeiten, Blässe und Anschwellen von Hals und/oder Gesicht führen, vor allem um die Augen. Dieser sogenannte anaphylaktische Schock tritt am häufigsten bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung auf, die bei einem früheren Insektenstich bereits eine weniger starke allergische Reaktion gezeigt haben. Schliesslich können bis zu zwei Wochen nach dem Stich auch noch sogenannte Spätreaktionen wie eine Infektion auftreten.

Von welchen Insekten geht in der Schweiz die grösste Gefahr aus?

In der Schweiz können nur Bienen und Wespen eine Allergie auslösen, in anderen Teilen der Welt noch weitere Hautflügler, zum Beispiel die Rote Feuerameise in Myanmar. Hornissenstiche sind zwar schlimmer, weil das Gift sehr stark wirkt, aber das Allergierisiko ist nicht grösser und sie kommen in der Schweiz auch nicht so häufig vor. Bremsenstiche verursachen sofort eine starke lokale Reaktion, in unseren Breitengraden jedoch keine Allergie. Zecken wiederum können Infektionen mit schweren Folgen wie Borreliose (bakterielle Erkrankung) oder die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME, virale Erkrankung) verursachen.

Was kann man tun, wenn man von einem Insekt gestochen wurde?

Wenn der Stich, wie es ja auch meist der Fall ist, nur zu einer leichten Schwellung führt, dann ist er nicht gefährlich. Wenn möglich, sollte man aber feststellen, welches Insekt da gerade gestochen hat. Wenn der Patient keine Allergie hat, sollte z. B. bei einem Bienenstich der Stachel mit einer Pinzette entfernt und die Einstichstelle mit Alkohol desinfiziert werden, der das Gift abbaut. Auch ein Insektengiftentferner in Form einer kleinen Pumpe kann nützlich sein. Leichte Beschwerden lassen sich in der Regel gut mit einem Antihistaminikum zum Schlucken unter Kontrolle halten. Besteht eine Allergie, muss je nach Schweregrad zunächst auch ein Antihistaminikum in Tablettenform eingenommen und anschliessend der Verlauf der Reaktion beobachtet werden. Bei Symptomen wie z. B. Atemschwierigkeiten oder Anschwellen von Hals oder Gesicht besteht ein echtes Risiko für einen anaphylaktischen Schock, der möglicherweise sogar tödlich enden kann. Hier verabreicht man nach Einnahme der Tabletten sofort Adrenalin. Anschliessend sollte man umgehend den nächsten Arzt oder die nächste Notaufnahme aufsuchen oder sich hinfahren lassen, wo der weitere Verlauf beobachtet werden kann und im Falle einer Spätreaktion die nötigen Massnahmen ergriffen werden können. Patienten, die nach einem Bienen- oder Wespenstich schon einmal eine generalisierte Reaktion gezeigt haben, sollten immer ein Notfallset mit einem Antihistaminikum in Tablettenform und einem gebrauchsfertigen Adrenalin-Injektionsset bei sich haben.

Gibt es, abgesehen von einer allergischen Reaktion, noch andere Komplikationen nach Insektenstichen, um die Sie sich als Allergologe kümmern?

Jedes Insekt kann Spätreaktionen oder zusätzliche Infektionen in den Geweben auslösen, die durch den Stich bereits entzündet sind. Vor allem Bienen und Wespen transportieren Mikroben, die sie beim Stechen übertragen und die eine Entzündung der Lymphgefässe verursachen können. Ein Mückenstich führt nur sehr selten zu einer echten allergischen Sofortreaktion, aber es können Spätreaktionen mit schwerer Symptomatik entstehen, die einen Besuch beim Allergologen notwendig machen. Wenn der Patient nach einem Stich immer schwerere Reaktionen zeigt, sollte er sich bei einem Spezialisten vorstellen, um sein Risiko bewerten zu lassen.

Kann man sich desensibilisieren lassen? Und was bringt das?

Das Prinzip der Desensibilisierung besteht darin, den Patienten gegen die Risiken einer allergischen Reaktion zu schützen. Besteht eine Allergie gegen Gifte der Hautflügler, wirkt sie besonders gut: Man erreicht hier Erfolgsquoten von über 90 Prozent. Die Desensibilisierung ist grundsätzlich bei Patienten angezeigt, die eine schwere allergische Reaktion gezeigt haben, oder bei Berufen, die einem höheren Risiko für Insektenstiche ausgesetzt sind, etwa bei Feuerwehrleuten (die Nester entfernen) oder Imkern.

Tipps zur Vermeidung von Stichen

In der Schweiz leiden etwa dreieinhalb Prozent der Bevölkerung unter einer Insektengiftallergie. Diese Menschen müssen die Risiken beschränken. Einige praktische Tipps:

  • Machen Sie keine abrupten Bewegungen, wenn sich eine Wespe oder Biene nähert.
  • Trinken Sie möglichst keinen Alkohol im Freien, da er Bienen anzieht und reizt.
  • Halten Sie sich von blühenden Bäumen und Fallobst fern.
  • Gehen Sie niemals barfuss über eine Wiese.
  • Vermeiden Sie stark duftende Parfüms und Sonnencremes, da sie Insekten anlocken.
  • Tragen Sie helle Kleidung, die den Körper gut bedeckt (dunkle Farben ziehen stechende Insekten an).
  • Lassen Sie keine Essensreste, zuckerhaltigen Getränke oder Früchte auf dem Tisch stehen.
  • Tragen Sie im Garten Handschuhe, langärmelige Kleidung und lange Hosen.
  • Schliessen Sie auf dem Motorrad immer das Helmvisier und tragen Sie Handschuhe.

Wer ist aggressiver: Bienen oder Wespen?

Bienen belästigen uns seltener beim Essen auf der Terrasse, wenn sie nicht provoziert werden. Sie stechen nur, um ihr Nest oder ihre Königin zu verteidigen. Wenn sie stechen, bleibt der Stachel in der Haut stecken; da sie ihn nicht wieder herausziehen können, reisst beim Wegfliegen ihr halber Körper ab und sie sterben.

Wespen verhalten sich aggressiver, vor allem auf Nahrungssuche. Gegen Ende des Sommers, wenn ihr Nest sehr stark bevölkert ist, sind sie noch lästiger. Da ihre Nahrung nun weniger leicht verfügbar ist, halten sie sich oft in der Nähe von Tellern und Picknicks auf.

*Dr. Pierre Gumowski ist Allergologe am INRAAIC, Hôpital de la Tour (GE).